Texte 1
So waren sie eben damals auch -- die Internatszeiten und der Aufenthalt in jener schönen Gegend. Flüchten in den dann gewiß besonders wertvollen knappen Stunden aus den Mauern in die nahegelegene Landschaften. Rollenspiele. Erlaubtes und Verbotenes tun. Ein Stück Ausprobieren. Viel davon: Anderssein als man eigentlich war. Der Tanz zwischen Anpassung sowie Einfügung in Vorgegebenes und dem, was man sein wollte, noch nicht wußte, was einen neugierig machte, was einen selbst oder andere forderte beziehungsweise herausforderte oder auch nur herauszufordern schien.
Fern, so fern ist das alles. Doch immer wieder gibt es Augenblicke, wo all dies plötzlich -- meist nur ganz, ganz kurz -- dann nah ist, fast schon wieder gegenwärtig. Dies dann gewiß mit all den Gedanken, die solche Szenen zünden.
Wie es überhaupt manchmal recht sinnvoll sein kann, sich dem, was einmal war, mit der nun gebotenen Distanz zu nähern, damit einfach ein Stück Kontinuum zu begreifen ...
Denke beratend an die Vergangenheit,
genießend an die Gegenwart
und handelnd an die Zukunft
(Joseph Joubert)
In Zeiten des Zurückblickens habe ich mich auch immer wieder gefragt, welche Personen aus der Vergangenheit auch gegenwärtig eine Bedeutung für das eigenen Leben haben und dann auch: welche. Man kann natürlich immer wieder "die Umstände" für die Entwicklung von Beziehungen und Bezügen als ursächlich sehen. Doch dürfte diese Antwort häufig etwas kurz greifen -- nicht selten viel zu kurz. Man spricht gerne von "gemeinsamer Wellenlänge", von einer geteilten Interessenlage, von einem Zusammenstehen auf Grund von äußeren Zwängen, in (heutzutage wohl eher abnehmenen Grade) von "Blutsverwandtschaft", um nur einige der zahlreichen Gründe für ein Zusammenstehen, Zusammenwirken, Zusammenbleiben in der Zeit zu nennen.
Letztlich dürfte in den allermeisten Fällen eine mehr oder weniger durch Zufall geschaffene Situation für die jeweils soziale Einbettung mit den entsprechend prägenden Erlebnissen und Erfahrungen sorgen. Vielfach sicherlich auch ein Zusammenfinden in einer Art "Notgemeinschaft". Jedenfalls lernt man, lernt daraus, lernt dazu, findet nicht zuletzt durch dieses Lernen neue Bezüge, lernt wieder und wieder, bekommt dadurch wieder andere soziale Erfahrungen, und so weiter und so fort. Also ein Suchen, Finden, Verlieren -- und in den wenigsten Fällen auch eine Form des "Behaltens".
Aber warum wird aus Begegnungen, die sich hoffnungsvoll anlassen, meistens keine Freundschaft? Wenn ich "Freundschaft" schreibe, meine ich damit auf gar keinen Fall den inflationär gebrauchten Begriff (dieses Verhalten ist ja gang und gäbe!), sondern wirklich tiefe, echte Freundschaft, die sich vor allem durch Verläßlichkeit, durch eine konsequente Aufrichtigkeit und der Bereitschaft dazu sowie durch ein Annehmen des anderen in seinem So-Sein kennzeichnet. Im luftleeren Raum wird diese wahrhafte Freundschaft sicherlich nicht entstehen können. Sie bedarf gewisser Voraussetzungen. Eine allgemeingültige Antwort auf die Frage nach den Voraussetzungen wird es wohl nicht geben, schon gar keine abschließende. Aber einige Bedingen müssen stets erfüllt sein, soll aus einem Kennenlernen irgendwann Freundschaft entstehen. Daß diese Bedingungen unterschiedlicher Art sein können, eben durch jeweils subjektive Bedürfnisse bestimmt, liegt auf der Hand. Ich möchte nachfolgend nun ein paar kleine Beispiele so als eine Art Annäherung zur Thematik schildern; jene mögen dann zu eigenen Überlegungen zum Phänomen Freundschaft beziehungsweise zum Aspekt von "fortdauerndem Interesse an der jeweiligen Person" führen.
Folgende Feststellung mag als erster Wegweiser dienen:
"In der Folge entwickelte sich zwischen ihnen ein gutes Verhältnis, das zur Freundschaft
hätte führen können, aber aus Mangel an geistiger Gemeinschaft nie wirklich dazu wurde."
(aus: Maren Haushofer, Eine Handvoll Leben. Roman. dtv 11.Aufl. 2013, S.72)
Und in der Tat: Ich habe es immer wieder erlebt, daß auf fehlende Parität auf dem (zugegebenermaßen weiten) Felde der "geistigen Gemeinschaft" sehr, sehr oft Distanz und Entfremdung folgen, mögen die im Vorfeld bindenden Gründe durchaus als noch so stabil empfunden worden sein.
Aber all das Gedachte, Gesagte, Gewünschte wird nur dann zu einem wertvollen Bestand eigenen Lebens, wenn man zumindest folgenden Inhalt zu beherzigen lernt, wenngleich ich persönlich diese Erkenntnis um ein "auch in der Gegenwart Früchte tragen müssen" ergänzen möchte ...
"Die Vergangenheit enthält Lehren, die in
der Zukunft ihre Früchte tragen müssen."
(Honoré de Balzac)
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