Was wahr ist beim Licht der Lampe, ist nicht immer wahr beim Licht der Sonne.
Joseph Joubert
Das Wichtigste ist es, nicht mit den Fragen aufzuhören.
Albert Einstein
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Texte 5
Ich möchte mich einmal an dieser Stelle ganz knapp mit dem Ergebnis einer Studie auseinandersetzen, dies jedoch nicht im üblichen Sinn (d.h. meist mit statistischen Schlußfolgerungen und damit einhergehenden politischen sowie sozialpolitischen Überlegungen sowie mehr oder weniger tauglichen Versuchen bei der Umsetzung eventuell zielführender Maßnahmen), sondern mit dem Augenmerk auf schlichtes menschliches Miteinander gerichtet. Ein solches schließt meines Erachtens zuallererst das Bemühen um aus dem kategorischen Imperativ abzuleitende Sachverhalte und Verhaltensweisen ein.
Die Studie: Sie wurde durchgeführt vom Institute Info und Liljeberg Research International. Es wurde die soziale und persönliche Befindlichkeit von türkischen Mitbürgern untersucht. Lapidar wird das Ergebnis zusammengefaßt: 45% der Türken fühlen sich hierzulande unerwünscht, 82% sind der Auffassung, dass die deutsche Gesellschaft auf sie stärker Rücksicht nehmen sollte und 62% geben an, sie fühlten sich in Deutschland als Türke und in der Türkei als Deutscher.
Natürlich sind derartige Aussagen Ergebnis von aggregierten Daten, geben eher eine Art von Gefühlsdurchschnitt dar, implizieren gewiß auch in hohem Grade einen Ausdruck von persönlichem Lebensfrust und Versagenserlebnissen, die auf vielfältigen Fundamenten gründen, die freilich dann durch einen defizitären Modus im Integrationsbereich verstärkt werden (können).
Leider beantwortet die Studie die eigentlichen Fragen nicht: die jeweils subjektive Befindlichkeiten vor dem Hintergrund grundsätzlich gebotener Möglichkeiten.
Insofern wird hier wieder einmal mehr Oberflächlichkeit (mit dem immanenten Potential zur Wirklichkeitsverzerrung, zu falschen Perspektiven und untauglicher Schwerpunktbildung sowie zur Schlagwörterbildung für demagogische Kräfte auf allen Seiten!) als "wissenschaftliche Leistung" verkauft, was augenscheinlich ein Fehler ist. Damit verbunden ist eine weitere Unsachlichkeit und große Gefahr: Bereitstellung von "Information" (minderer Qualität) für falsche Attribuierung.
Hat der Mensch (manchmal) noch Worte (manche wohl nur: Wörter ...)?!
Hat man denn hier Decimus Iunius Iuvenalis (Juvenal) richtig verstanden? Wollte man ihn hier überhaupt richtig verstehen? Die Crux mit der Vereinfachung ...
Wie haben es uns die Pauker immer so "schön" vorgesetzt (bzw. uns damit: zugesetzt bzw. dies versucht ...): "Ein gesunder Geist in einem gesunden Körper!"
Sic! Heureka! Wir sollten wohl für einen gesunden Körper sorgen, der gesunde Geist würde dann zwangsläufig sich einstellen. Welch Irrtum. Juvenal hat angesichts der gutgebauten Körper römischer Soldaten da schon eher in der für ihn typischen Manier gemeint, es wäre doch sicherlich schön, wäre in all jenen Körpern auch ein gesunder Geist. Was er offensichtlich füglich bezweifelte ... Denn genau dem dürfte so gerade nicht immer gewesen sein.
Mit seinem "Orandum est ut sit mens sana in corpore sano!" hat er nämlich genau das Gegenteil dessen, was uns seinerzeit deutsche Schulweisheit nur allzu gerne weismachen wollte, gesagt. So ist Juvenal richtig verstanden: Es bleibt zu wünschen, daß in einem gesunden Körper ein gesunder Geist wohne! Er hat mit seinem "orandum est" noch hinzugefügt, daß man beten solle, daß es so komme. (vgl. Juvenal, Satiren, 58 - 140)
Gewiß, ob diesbezüglich gerade auch "beten" irgendetwas Positives bewirken kann, darf aus gutem Grunde nochmals gründlich extra untersucht werden ...
Von Iuvenalis (Juvenal) gibt es beinahe unzählige kritische Äußerungen, zumeist satirisch verpackt. Eine weitere möchte ich mir hier einmal etwas genauer ansehen. Hier hat sich Juvenal zur Thematik "Fremdgehen" / "Untreue" geäußert.
Aber betrachten wir zunächst eine von mehreren deutschen Übersetzungen, die in dieser Form -- leider! dies aus noch aufzuzeigenden Gründen -- eine sehr weite Verbreitung gefunden hat: "Nichts Keckeres gibt's als die Frauen, die man ertappt; aus dem Fehltritt schöpfen sie Mut (sic! d.V.) und Empörung." (Man findet diese Übersetzung in zahlreichen Foren mit Aphorismen, aber auch als Spruchbild bzw. Bildspruch im Internet, dort ebenfalls mit der Übersetzung "Mut" ...)
Ehe ich mich dem Original, als dem, was Iuvenal tatsächlich gesagt hat, zuwende, sehen wir uns die englische Übersetzung zum Vergleich erst einmal an: "There's no effrontery like that of a woman caught in the act; her very guilt inspires her with wrath and insolence." (Anmerkungen: "effrontery" läßt sich mit "Frechheit", "Unverschämtheit, Unverfrorenheit" übersetzen; "catch in the act" mit "in flagranti erwischen"; "wrath" meint "Zorn, Wut, Grimm, Empörung" und "insolence" bedeutet "Frechheit, Unverschämtheit, Anmaßung, Unverfrorenheit".)
Wer den gesamten Abschnitt aus Juvenals Satiren VI liest, also die -- eigenwillig aus dem Zusammenhang gerissene Sentenz -- in ihrem ganzen Kontext zur Kenntnis nimmt, wird freilich mit dieser verkürzten, zudem m.E. falschen deutschen Übersetzung auf kritische Distanz gehen. Was war denn Juvenals Absicht bei der Abfassung seiner Sechsten Satire im Zweiten Buch seiner Satiren? Er beschäftigte sich dort mit der (ehelichen) Untreue als solcher und mit dem Hinweis auf zahlreiche einschlägige Vorfälle, wollte er Postumus davon überzeugen, besser nicht zu heiraten. Dies geschieht alles in satirischer Form, zudem bringt er ausschließlich (sicherlich aus gutem Grund, z.B. mit Blick auf die eigene Unversehrtheit) Beispiele aus vergangener Zeit. Es war auch zu damaliger Zeit wohl angemessener, sicherer, sich mit den Mächtigen und mit der tumben Masse nicht unbedingt anzulegen ... Und in diesem Zusammenhang war und ist Satire immer ein zielführendes Stilmittel. Es ist auch interessant, wen Juvenal anspricht: nämlich eine fiktive Person, der er den Namen Postumus gegeben hat. Dieser Name bedeutet soviel wie "nach dem Tod", also eine mögliche Heirat könnte seinen Tod bedeuten, deshalb Juvenals Versuch, ihn davon abzubringen. Juvenal war also keineswegs Misogynist (also jemand der Frauen haßt), sondern hob lediglich auf das Phänomen der Untreue ab. Weshalb einige hier auf Deutsch die "Keckheit" der Frauen beim Erwischtwerden ihrer Untreue betonen und sie in den Zusammenhang von Reaktionen wie "Mut" und "Empörung" stellen, ist jedenfalls nicht aus Juvenals tatsächlicher Aussage begründbar.
Allerdings ist zu vermuten, daß das von Juvenal in seinen Satiren VI aufgezeigte Frauenbild so manche Neo- /Pseude- Emanze und Me-Too-Anhängerin auf die sprichwörtliche Palme bringen dürfte; dies ist dann allerdings eher einer verkürzenden und somit falschen Rezeption von Juvenals Gedanken geschuldet, liegt also in der Unfähigkeit der Empörten , dieWirklichkeit von Unterstellung und subjektiver Projektion zu trennen, begründet. Begibt man sich jedoch tiefer in die Materie falscher Darstellung und Sichtweisen, wird man unschwer auch hier dann Elementen der unseligen Politischen Korrektheit, die nicht nur hierzulande gegenwärtig ihr besonderes Unwesen treibt, begegnen. (Leider sind generalisierende Überschriften wie z.B. im Englischen "Satire 6 / VI The Ways Of Women 105 - 107" für eine sachlichere Sichtweise nicht gerade förderlich, und führen dann eben auch leicht zu oberflächlicher Betrachtung. Siehe hierzu auch weiter unten!)
Juvenal hat eher für das gleiche Recht für alle (Geschlechter) plädiert, aber dabei die daraus entstehenden möglichen "Gefahren" angesprochen. Sein angedachtes Rezept: eben derartige Bindungen zu vermeiden, um nicht in die entsprechende Bredouille zu geraten.
Man mag das für falsch halten, auch als nicht machbar ansehen, ihm vielleicht sogar partielle misanthropische Züge unterstellen, -- frauenfeindlich ist sein Hinweis, sein Versuch Postumus vor einem von ihm auf Grund zahlreicher negativer Beispiele so gesehenen "Übel" zu bewahren sicherlich nicht. Letztlich dürfte nicht mehr oder nicht weniger als ein eher schon sehr entschiedener Kontrapunkt gegen Eheschließungen oder ähnlich geartete Verbindungen verbleiben ...
Und so hat Juvenal tatsächlich über dieses Thema gesprochen:
So liest es sich bei Juvenal: "Semper habet lites alternaque iurgia lectus in quo nupta iacet, minimum dormitur in illo. tum gravis, tum gravis illa viro, tunc orba tigride peior, cum simulat gemitus occulti conscia facti. aut odit pueros aut ficta paelice plorat, uberibus semper lacrimis semperque paratis in statione sua atque expectantibus illam, quo iubeat manare modo: tu credis amorem, tu tibi tunc, uruca, places fletumque labellis exorbes, quae scripta et quot lecture tabellas, si tibi zelotypae retegantur scrinia moechae! sed iacet in servi complexibus aut equitis: dic, dic, aliquem sodes hic, Quintiliane, colorem! "haeremus." dic ipsa! "olim convenerat" inquit "ut facere tu quod velles, nec non ego possem indulgere mihi. clames licet et mare caelo confundas, homo sum." nihil est audacius illis deprensis: iram atque animos a crimine sumunt. (vgl.: Juvenal, Satiren, Tusculum, Artemis&Winkler Verlag, München 1993, S.108 ff.)
Hier liest sich die geleistete deutsche Übersetzung dann so: "Immer gibt es Streit und gegenseitige Vorwürfe in dem Bett, in dem eine Ehefrau liegt, sehr wenig wird in ihm geschlafen. Dann wird sie dem Manne lästig, dann ist sie schlimmer als eine ihrer Jungen beraubte Tigerin, wenn sie Schluchzen vortäuscht im Bewußtsein eines verborgenen Fehltritts. Haß auf Sklaven äußert sie oder klagt über eine erfundene Nebenbuhlerin mit Tränen, die stets reichlich vorhanden sind, stets auf ihrem Posten bereitstehen und darauf warten, daß sie befiehlt, in welcher Weise sei strömen sollen: du glaubst, dies bedeute Liebe, du bildest dir, du Wurm, darauf etwas ein und küßt mit den Lippen ihr die Tränen weg: welche Mitteilungen und wieviele Liebesbriefe würdest du lesen, wenn du das Schränkchen de Eifersucht mimenden Ehebrecherin öffnetest! Da liegt sie in den Armen eines Sklaven oder Ritters: gib, Quintilian, gib doch bitte jetzt eine geschickte Rechtfertigung! "Ratlos bin ich!" Dann gib du selbst eine! "Längst schon", sagt sie, "kamen wir überein, daß du machst, was du willst, und auch ich mir freien Lauf lassen darf. Du magst schreien und Meer und Himmel mischen: ich bin nur ein Mensch." Nichts ist frecher als sie, wenn sie ertappt worden sind. Zorn und Mut schöpfen sie aus ihrem Vergehen. (ebd:)
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Freilich, manche mögen kritisieren, daß man z.B. bei der deutschen Übersetzung in der Box für "audacius" besser mit "mutiger", "waghalsiger", "wagemutiger" denn mit "frecher" gearbeitet hätte, aber letztlich zeigt sich bei derartigen Festlegungen immer auch die subjektive Komponente und ein ideologischer Hintergrund; letzteren gilt es stets besonders im Auge zu behalten ...
Ist es nicht männliche Herrschaftsdefinition, wenn man Frauen, die in flagranti ertappt wurden ("caught in the act") in ihrem Verhalten mit Termini bedacht, die bei gleichem Verhalten der Männer meistens nicht diese Anwendung finden, oftmals werden deren Fremdgehereien noch mit eher positiv klingenden Attributen begleitet (freilich: kaum von der dadurch unmittelbar betroffenen Partnerin!) und wenige stören sich dann daran (außer Vertreter und Vertreterinnen jener Institutionen und Gruppierungen, die moralische Be- und Verurteilung gleichsam qua professione glauben betreiben und in eigenmächtig festgezurrten Bewertungsmaßstäben durchsetzen zu müssen ...) Drehen wir den Spieß doch einfach einmal um: Wenn schon solchen Frauen dann Zorn unterstellt wird, weshalb kann und sollte es nicht der Zorn gegen die etablierten und einseitig aufgezwungenen Maßstäbe sein?! Wenn hier schon mit "Mut" argumentativ operiert wird: warum dann nicht der positiv gerichtete Mut, sich gegen all diese aus Unterdrückung resultierenden Verdammungen zur Wehr zu setzen. Daß hier die männliche Welt von "Frechheit" spricht, wenn Frauen auf ihr "Entdecktwerden" vielleicht heftig reagieren, ist erklärbar: es gefällt ihnen eben nicht, wenn sie für sich das reklamieren, was Männern sich immer wieder herausnehmen, für sich beanspruchen, und diese dann mit Drohungen, Angriffen und Vorhaltungen reagieren. Ist es wirklich verwunderlich, daß Frauen dann sich gegen derartige Avancen wehren, wie heftig und laut auch immer (wahrscheinlich dann wohl zumeist dem Gegenüber angemessen!), und dann bezeichnet die männliche Welt das dann eben schlicht und einfach als "frech". Für mich stellt sich da schon die Frage, was da denn wirklich "frech" ist ...
Kurz: In flagranti erwischt zu werden, dürfte den wenigsten -- beider Geschlechter -- gefallen und angenehm sein, aber es gibt wirklich hier überhaupt keinen Grund, je nach Geschlecht zu einer unterschiedlichen moralischen Bewertung zu kommen. Juvenals angesprochene Gleichbewertung, also diese Art Übereinkunft eines gleichen Rechts für beide Teile scheint mir zielführender als diese beckmesserisch handelnde, verlogene Pseudomoral, die sich auch heute immer noch innerhalb der Gesellschaft einer breiten Praxis "erfreut". Wenn hier in der von mir aufgezeigten Übersetzung in diesem Zusammenhang von "insolence" die Rede ist, dann schlage ich eine andere Übersetzung vor, eine nicht derartig diskriminierende und auch dem Original besser entsprechende ...
Eine englische Übersetzung des besagten Abschnitts lautet wie folgt: "105 - 107 / The bed that holds a wife is never free from wrangling and mutual bickerings; no sleep is to be got there! It is there that she sets upon her husband, more savage than a tigress that has lost her cubs; conscious of her own secret slips, she affects a grievance, abusing his slaves, or weeping over some imagined mistress. She has an abundant supply of tears always ready in their place, awaiting her command in which fashion they should flow. You, poor dolt, are delighted, believing them to be tears of love, and kiss them away; but what notes, what love-letters would you find if you opened the desk of your green-eyed adulterous wife! If you find her in the arms of a slave or of a knight, "Speak, speak, Quintilian, give me one of your colours," she will say. But Quintilian has none to give: "find it yourself," says he. "We agreed long ago," says the lady, "that you were to go your way, and I mine. You may confound sea and sky with your bellowing, I am a human being after all." There's no effrontery like that of a woman caught in the act; her very guilt inspires her with wrath and insolence."
Hier in der Box der komplette relevante Abschnitt einer englischen Übertragung:
Satire 6 / VI The Ways Of Women 105 - 107
268The bed that holds a wife is never free from wrangling and mutual bickerings; no sleep is to be got there! It is there that she sets upon her husband, more savage than a tigress that has lost her cubs; conscious of her own secret slips, she affects a grievance, abusing his slaves, or weeping over some imagined mistress. She has an abundant supply of tears always ready in their place, awaiting her command in which fashion they should flow. You, poor dolt, are delighted, believing them to be tears of love, and kiss them away; but what notes, what love-letters would you find if you opened the desk of your green-eyed adulterous wife! If you find her in the arms of a slave or of a knight, "Speak, speak, Quintilian, give me one of your colours," she will say. But Quintilian has none to give: "find it yourself," says he. "We agreed long ago," says the lady, "that you were to go your way, and I mine. You may confound sea and sky with your bellowing, I am a human being after all." There's no effrontery like that of a woman caught in the act; her very guilt inspires her with wrath and insolence.
286But whence come these monstrosities? you ask; from what fountain do they flow? In days of old, the wives of Latium were kept chaste by their humble fortunes. It was toil and brief slumbers that kept vice from polluting their modest homes; hands chafed and hardened by Tuscan fleeces, Hannibal nearing the city, and husbands standing to arms at the Colline gate. We are now suffering the calamities of long peace. Luxury, more deadly than any foe, has laid her hand upon us, and avenges a conquered world. Since the day when Roman poverty perished, no deed of crime or lust has been wanting to us; from that moment Sybaris and Rhodes and Miletus have poured in upon our hills, with the begarlanded and drunken and unabashed Tarentum. Filthy lucre first brought in amongst us foreign ways; wealth enervated and corrupted the ages with foul indulgences. What decency does Venus observe when she is drunken? when she knows not one member from another, eats giant oysters at midnight, pours foaming unguents into her unmixed Falernian, and drinks out of perfume-bowls, while the roof spins dizzily round, the table dances, and every light shows double!
137: Those women were monsters of wickedness in their day; but it was not for money that they sinned. We marvel less at great crimes when it is wrath that incites the sex to the guilty deed, when burning passion carries them headlong, like a rock torn from a mountain side, when the ground beneath gives way, and the overhanging slopes fall in. I cannot endure the woman who calculates, and commits a great crime in her sober senses. Our wives look on at Alcestis undergoing her husband's fate; if they were granted a like liberty of exchange, they would fain let the husband die to save a lap-dog's life. You will meet a daughter of Belus or an Eriphyle every morning; no street but has its Clytemnestra. The only difference is this; the daughter of Tyndareus wielded in her two hands a clumsy two-headed axe, whereas nowadays a slice of a toad's lung will do the business. Yet it may be done by steel as well, if the wary husband have beforehand tasted the medicaments of the thrice-conquered king of Pontus.
Quelle: Juvenal and Persius/The Satires of Juvenal/Satire 6 (translated by George Gilbert Ramsay). https://en.wikisource.org/wiki/Juvenal_and_Persius/The_Satires_of_Juvenal/Satire_6
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Fakt ist jedoch und bleibt: mit gleicher Münze könnte man Frauen vom Eingehen der Ehe abraten. Nicht mehr, nicht weniger verbirgt sich hinter der von Juvenal aufgezeigten Problematik, auch wenn Juvenal aus seiner Sicht die männliche Akzentuierung der Problemlage -- so es denn überhaupt eine ist, eine sein sollte -- wählt. Ich selbst plädiere allerdings jedoch für einen ganz anderen Weg: trotz dieser möglichen (negativen) Entwicklungstränge sollte man sich durchaus auf Bindung(en) einlassen, das Leben ist eben immer auch schon: "lebensgefährlich", zumindest immer auch mit Risiken behaftet (Juvenal läßt in seinen Betrachtungen auch Mord und Totschlag nicht aus, eigentlich wendet er sich grundsätzlich fast allem zu, was im Kontext mit Menschen alles so möglich ist ...).
Ergänzende Anmerkungen:
Von Juvenal stammt auch der Ausspruch, es sei schwierig keine Satiren zu schreiben (Difficile est saturam non scribere.). Ähnlich seinerzeit ja Dürrenmatt auf die Frage, weshalb er denn Komödien schreibe, woraufhin er sinngemäß antwortete, anders seien diese Zeiten nicht zu ertragen. Juvenal schrieb seine Satiren aus einer Distanzlosigkeit zu den Lastern des Alltags heraus. Er war alles andere als eine Art "Gelegenheitsdichter", sondern die permanente Entrüstung über das Beobachtete, Erlebte, trieb ihn unmittelbar zu seiner Dichtung -- eben zu: Satiren. (Dies ganz im Gegensatz zu anderen, beispielsweise zu Horaz, der die von ihm gesehenen "Fehler" seiner Mitmenschen vor allem auch aus einer gewissen -- zeitlichen-- Distanz heraus schrieb; er wollte aus den von ihm festgestellten Fehlern seiner Mitmenschen zuallererst Lehren für seine eigene Lebensgestaltung ziehen.)
So wendet sich Juvenal mit seiner 6. Satire an einen Mann namens Postumus, um ihn von einer Heirat abzuhalten. Ist denn hier nicht schon in der Namenswahl (Postumus = nach dem Tod) die von Juvenal gesehene Katastrophe einer Eheschließung angedeutet: nach der Eheschließung folge als logische Konsequenz der Niedergang? Man kann es durchaus so sehen.
Im Gegensatz zu E. Courtney (der sich sehr umfassend mit Juvenal beschäftigt hat), der bereits zu Beginn seiner umfangreichen Arbeit " Commentary of the Satires of Juvenal", 1980, urteilt: "Juvenal presents himself as a serious moralist and a critic of society" (a.a.O., S.31) -- diese Position vertreten u.a. auch Gilbert Highet ("It is a satire on marriage: it is a denunciation of wives.“Juvenal the Satirist. A study, Oxford 1954, S.91) sowie Theodor Birt (Der Aufbau der sechsten und vierten Satire Juvenals, in: RhM / Rheinisches Museum für Philologie / 70 (1915), 524 - 550, S. 526: "Das Gedicht ist keine Satire auf die Frauen im allgemeinen, (…) sondern auf die verheirateten Frauen") --, sieht M. Winkler Juvenals 6. Satire als eine "tour de force of antifeminism". Ob sie das ist oder nicht, darüber läßt sich füglich -- vor allem je nach eigener eingenommener (häufig ideologisch verborgener) Position -- streiten ...
Ich jedenfalls sehe sie nicht so, also nicht als anitfeministisch, sondern vielmehr als eine Kritik an den (sittlichen) Zuständen der damaligen Zeit (was heißt eigentlich: "damaligen", ist das alles denn nicht aktueller denn je ...?). Und an diesen Zuständen haben beide Geschlechter ihren jeweiligen Anteil; geht die Entwicklung so weiter, darf man durchaus unken, daß es zukünftig noch mehrere Geschlechter sein dürften, die da mitmischen ...
Problematischer als jenes Hickack um antifeministisch oder nicht dürfte jedoch ein anderer Aspekt sein: die Komposition der 6. Satire. Im "Oxford-Fragment" wird sogar die Echtheit (zumindest in einigen Teilen der Satire) hinterfragt. Gestritten wird in der Forschung auch darüber, ob sich in der 6. Satire eine Struktur finden läßt. So sieht W.S. Anderson eine klare, durchdachte Anordnung und Theodor Birt stimmt ihm hier zu, denn seiner Ansicht nach wäre es "auffallend, wenn gerade jenes umfangreichste Opus Juvenals, das in seinem Stoffreichtum am schwersten zu überblicken ist, (...) einer Stoffanordnung und vernünftigen Disposition entbehren sollte." Ähnlich urteilt auch David Wiesen, der in der "longest and (greatest) Roman satire" sogar einen rhetorischen Höhepunkt erkennt, als einen Inhalt, der zielstrebig und stringent sich seinem Aussage-Ziel nähert. Wäre es nicht so, dürfte wohl Hanns Högg trotz seiner wohl berechtigten Kritik an Verfälschung durch spätere Umarbeiten an Juvenals Satiren (vgl.:"Interpolation bei Juvenal", Dissertation, Freiburg im Breisgau 1971) kaum zu seinem Schluß gekommen sein, die 6. Satire als Hauptwerk Juvenals zu sehen. Da gibt es manche, z.B. Ludwig Friedländer, die bei Juvenals Satiren eine fehlende strukturelle Einheit bemängeln. Friedländer unterstellte Juvenal eine "völlige(r) Gleichgültigkeit gegen die Forderung künstlerischer Komposition" und sieht in der Satire 26 Abschnitte, die ohne jeglichen Zusammenhang aneinandergefügt seien. Diese Sichtweise weist in der Tendenz auch Georg Alexander Ruperti aus, wenn er in Juvenals 6. Satire eine "mixtura colorum aqua ordo sententiarum passim pertubator" zu erkennen glaubt. (Umfassend Ruperti zitierend und gründlich belegt widerspricht im da Theodor Birt, a.a.O., S. 524 f.) Ruperti ist doch tatsächlich der Ansicht, daß zahlreiche Wiederholungen und Trennungen dessen, was eigentlich zusammengehört, die Satire eher als eine "declamatio", in der ein Rhetor ein Argument an das nächste fügt, erscheinen lasse.
Diese (m.E. nicht haltbare) Sichtweise lassen zumindest in Teilen auch Jeremias de Decker (in seiner Monographie hat er Juvenal hinsichtlich deklamatorischer Gesichtspunkte darzustellen versucht), aber auch W.S. Anderson (er meint, Juvenal habe in seiner 6. Satire rhetorische Techniken adaptiert; s. Anderson 1956, S. 74 & S. 94) und vor allem Ulrich Knoche, der sich "Juvenal (...) recht gut als berufsmäßigen Deklamator vorstellen" könnte (vgl.: Knoche, U.: Juvenals Maßstäbe der Gesellschaftskritik, in: Korzeniewski, D. (Hrsg.): Die römische Satire, Darmstadt 1970, 496 - 520, S. 515.), ziemlich deutlich erkennen.
Es gibt / gab auch Vorschläge, Juvenals 6. Satire (nachträglich) in Abschnitte zu zerlegen, so beispielsweise auch von Karl Friedrich Nägelsbach und W. Stegemann. Zwar meint Birt, daß deren Einteilung "(nicht) richtig sein (kann), betont jedoch gleichzeitig, daß in einer Aufteilung des Werkes in Abschnitte die Erschließung des Plans liege, der für die 6. Satire grundlegend ist. Hier schließt sich ihm auch Highet an, der die Satire gegen Vorwürfe einer fehlenden strukturellen Einheit verteidigt. (vgl. seine Monographie von 1954, in der er die Verteidigung einer Struktur in der 6. Satire leistet)
Ich möchte diese immer noch nicht für alle Seiten wohl zufriedenstellend geklärten Sichtweisen mit einer sehr deutlichen Akzentuierung Theodor Birts zusammenfassen: "In Wirklichkeit hat Juvenal seinen grossen Stoff sorgfältig in drei grosse Gruppen zerlegt, wozu ein steigender Abschluss hinzukommt, und für den, der diese kluge Anordnung bemerkt und die Teile richtig abgrenzt, lichtet sich in der Tat das Dunkel, und das Chaos der scheinbar so wüsten Frauenbeschimpfung wird zu einem übersichtlichen Kosmos." (Birt, a.a.O., S. 526) Und Birt wird etwas später noch direkter, was die Ordnung in der 6. Satire angeht: "Diese Einteilung ist so klar, dass ich sagen möchte: wer sie nicht bemerkt, kann nicht Leser der Satire gelten." (Birt, ebd.)
(Daß es um Juvenals Satiren immer noch Kontroversen gibt, liegt auch darin begründet, daß er jene in fünf Buchrollen nacheinander herausgegeben hat (nachdem er die Inhalte jeweils zunächst mündlich vorgetragen hatte) und wahrscheinlich ist die letzte Rolle auch nicht mehr von ihm selbst editiert, sondern sie dürfte erst nach seinem Tode aus seinem Nachlaß erschienen sein.)
Was Juvenals 6. Satire angeht, sind m.E. weder der Vorwurf der Frauenfeindlichkeit, der Geringschätzung von Frauen ("Juvenal is often charged with misogyny.") noch der einer unstrukturierten Komposition aufrecht zu erhalten. Oder wie es eine angelsächsische Autorin, Susanna H. Braund, ausgedrückt hat: "This paper will attempt to show that the case is unfounded. My contention is that the poem is shaped by contemporary discourses about marriage, in particular the treatment of marriage in rhetoric. The understanding of the poem's ideological grounding thus gained will provide a basis for exploring the complex interrelationship of author, speaker, addressee, and audience in the poem." (Susanna H. Braund, Juvenal -- Misogynist or Misogamist? in: The Journal of Roman Studies, Vol. 82, 1992, S. 71 - 86)
Mag folgender abschließender Blick auf einen markanten Teil der 6. Satire die Blicke weiten: << Dem Beispiel der Eppia folgt das der Kaisergattin Messalina. Diese Schilderung liefert den Abschluss einer Klimax. Zuerst beschreibt der Sprecher die Ausschweifungen von gewöhnlichen Mädchen (V. 60-81), dann die der Senatorenfrau Eppia (V. 82-113) und zum Abschluss noch die der meretrix Augusta (V. 114-132). Bei der meretrix Augusta handelt es sich um Messalina, die dritte Ehefrau des Kaisers Claudius. Im Prolog wird gesagt, dass Pudicitia zusammen mit Astraea von der Erde zu den Göttern (V. 19: ad superos recessit) ging. An dieser Stelle hätte man noch glauben können, dass sie wenigstens am noch Kaiserhof zu finden wäre. Immerhin bezeichnet der satirische Sprecher den Kaiser als einen rivalis divorum (V. 115), der für jeden Römer eigentlich ein Musterbeispiel an modestia und pietas sein sollte. In dieser Wendung ist eine gewisse Ironie zu sehen, denn auch am kaiserlichen Hof herrscht dieselbe Unzucht wie im gesamten Volk, was der Sprecher am Beispiel der Messalina im weiteren Verlauf der 6. Satire illustriert. >>
Vielleicht hilft ja (unter anderen) auch Juvenal, die eigenen Blicke zu weiten, die Wahrnehmung zu steigern und das Aufmerksamkeitsvermögen zu vermehren. Dann wäre ja schon so manches erreicht bzw. auf den Weg gebracht ...
Das Schweigende ist so weit vorgeschritten
Und füllt den Raum und denkt sich selber zu.
Gottfried Benn
Mir scheint nämlich nicht frei zu sein,
wer nicht auch bisweilen nichts tut.
Marcus Tullius Cicero
Blick über den Hallstätter See nach Hallstatt
"Security is mostly a superstition. It does not exist in nature, nor do the children of men as a whole experience it.
Avoiding danger is no safer in the long run than outright exposure. Life is either a daring adventure or nothing."
Helen Keller
"Like most great things in life, you have to be willing to give something up to get something else."
Periel Aschenbrand, On my knees (HarperCollins 2013), S.109
Kreuzspinne mit Opfer
"Oh what a tangled web we weave
When we first practice to deceive."
Walter Scott
Gib das, was dir wichtig ist, nicht auf,
nur weil es nicht einfach ist.
Albert Einstein
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