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Jeder, der sich die Fähigkeit erhält, Schönes zu erkennen, wird nie alt werden.
Franz Kafka
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Bilder erzählen
Wo die Macht keinen Geist hat, da hat der Geist keine Macht.
(aus einem Berggipfelbuch entnommen )
Das Wort ist nur der Körper von unsern innern Empfindungen.
(Philipp Otto Runge )
Dich führt dein Weg (Christian Morgenstern, Melancholie)
"Wenn ich dein bin, bin ich erst ganz mein."
(Michelangelo)
Meeresstrand auf Fuerteventura
... und immer lockt dann doch wieder etwas, diese weitgreifende
Sehnsucht, aber dabei niemals "falsche" Orientierungen zulassen ...
Ach du, manchmal fröhlich, manchmal traurig klingen die Lieder,
wenn auch meist nicht so gekonnt und völlig
unprofessionell -- aber es sind wenigstens meine!
Einblicke, Ausblicke, Durchblicke ...
Die Differenz zwischen Wort und Tat kann man
als eine besondere Form der Lüge bezeichnen,
gegen die man in stetem Bemühen ankämpfen sollte.
fagusarua
Nein, bleib nicht stehen.
Es ist eine göttliche Gnade,
gut zu beginnen.
Es ist eine größere Gnade,
auf dem Weg zu bleiben
und den Rhythmus nicht zu verlieren.
Aber die Gnade aller Gnaden ist es,
sich nicht zu beugen und,
ob auch zerbrochen und erschöpft,
vorwärts zu gehen bis zum Ziel.
(Dom Helder Camara)
Wenn deine Liebe nicht hoffen kann,
Gehör zu finden,
sollst du sie verschweigen.
Sie kann in dir reifen,
wenn Schweigen herrscht.
Denn sie schafft eine Richtung in der Welt,
und jede Richtung lässt dich größer werden,
die es dir erlaubt,
dich zu nähern,
dich zu entfernen,
einzutreten,
hinauszugehen,
zu finden,
zu verlieren.
(Antoine de Saint-Exupery)
Wenn ich bei meiner Liebsten bin,
Dann geht das Herz mir auf,
Dann bin ich reich in meinem Sinn
und biet die Welt zum Kauf.
Doch wenn ich wieder scheiden muß
Aus ihrem Schwanenarm,
Dann schwindet all mein Überfluß,
Und ich bin bettelarm.
Heinrich Heine
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An dieser Stelle mache ich mir ein paar Gedanken über "Liebe", daraus abgeleitete "Hoffnungen", über die Spannung von Wunsch und Wirklichkeit sowie über den Umgang mit dem, was man für "Wahrheit" zu erkennen glaubt -- bei sich und dem anderen. Ausgangspunkt seien zwei Lieder des leider viel zu früh verstorbenen Ausnahme-Sängers Harry Chapin, der nicht nur allerbeste Musik machen konnte, sondern neben seinen philosophisch anmutenden Gedanken und seiner gekonnt poetischen Ausdrucksweise stets den Blick für die ihn umgebende gesellschaftliche und persönliche Wirklichkeit offenhielt. Dabei zeigte er nie nur einseitig auf "die anderen", sondern behielt sich auch selbst im Auge. Dafür ist unter all seinen Liedern und gegebenen Interviews sowie seinem intensiven sozialen Engagement das Lied "There was only one choice" beredtes Zeugnis. (Empfehlung: einfach anhören!)
Da erkennt man einmal mehr auch Harry Chapin aus seinem Lied "Sequel", die Weiterführung der Beziehungs-Geschichte aus "Taxi" ...
O, wie liebt der Mensch, wenn sich zwischen ihn und das Geliebte die Unmöglichkeit stellt.
Friedrich Hebbel
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Der für viele unvergessene Harry Chapin erzählt in seinem Lied "Taxi" eine Geschichte, die jene Spannung zwischen Traum und Wirklichkeit zeigt, wie sie den meisten Menschen, sofern sie diese Problematik nicht mehr oder weniger gekonnt verdrängen,bekannt sein dürfte ...
In einer regnerischen Nacht wird ein Taxifahrer, der noch eine Fahrt zur Beendigung seiner Schicht brauchte, von einer Frau angehalten. Sie meinte, er solle sie zur Adresse "Sixteen Parkside Line" fahren. Während der Fahrt dachte er sich, daß ihm die Frau irgendwie bekannt vorkomme, daß er schwören könne, ihr Gesicht schon einmal gesehen zu haben. ("Something about her was familiar, I could swear I'd seen her face before.") Er sagte ihr das auch, sie meinte nur, er müsse sich irren und schwieg zunächst daraufhin. Sie blickt dann in den Rückspiegel, sieht seinen Namen auf dem Taxifahrer-Lizenz-Schild, erkennt ihn, so wie er sie ja auch: Harry, der Fahrer und Sue, die Verflossene ...; langsam legt sich ein Lächeln auf ihr Gesicht, etwas traurige Züge dabei ("A smile seemed to come to her slowly, it was a sad smile, just the same, and she said, 'How are you, Harry?'") und er bekennt, daß sie in seinen Gedanken und offensichtlich auch in seinem Fühlen immer noch einen Platz hat (I said, 'How are you, Sue? Through the too many miles and the too little smiles I still remember you.' ").
Er erinnert sich an das gemeinsame Früher, an die ihm märchengleich dünkende Begegnung mit ihr, an die Liebesversuche auf dem Rücksitz des Dodge, aber allzu weit sei es dabei nicht gekommen ("The lesson hadn't gone too far."´). Er erinnert sich, daß sie Schauspielerin werden wollte, er Pilot ("You see, she was gonna be an actress, and I was gonna learn to fly. She took off for the footlights, and I took off to find the sky."). Dann folgt eine tief-emotionale Schilderung seiner Gefühlswelt, was sie in ihm auslöst, auch die gespürte psychische Enge ("Oh, I've got something inside me, not what my life's about, 'cause I've been letting my outside tide me ..."). Er weiß aber auch, daß es eigentlich nicht viel mehr zu reden gibt, daß all das, was einmal war, eben Vergangenheit ist ("There was not much for us to talk about, whatever we had once was gone.").
Er hält nun bei ihrer Wohnung, sie meint nun doch, sie müßten (wieder?) zusammenkommen, er sieht aber, daß dies wohl kaum Wirklichkeit werden kann ("And she said we must get together but I knew it'd never be arranged.") Der Fahrpreis beträgt $ 2,50, sie zahlt mit einem Zwanzig-Dollar-Schein und sagt, er könne das Wechselgeld behalten. Harry schildert nun seine Gedanken dabei: er meint, ein anderer Mann wäre wohl verärgert gewesen (wegen dieser schon einen beschämenden Großzügigkeit), aber ein anderer Mann hätte sie auch nicht einfach gehen lassen, er steckte das Geld einfach kommentarlos ein ("And she handed me twenty dollars for a two fifty fare, she said 'Harry, keep the change.' Well another man might have been angry, and another man might have been hurt, but another man never would have let her go, I stashed the bill in my shirt.").
Sie ging dann schweigend, er meint, sicherlich etwas sarkastisch, daß man eben nie genau wissen könne und beide hätten das bekommen, was sie sich vor langer, langer Zeit gewünscht hatten, sie wollte ja Schauspielerin, er Pilot werden, sie zielte auf das Scheinwerferlicht, er auf den Himmel, und jetzt? Sie schauspielert glücklich in ihrem gemütlichen Heim, er fliegt (gefühlt) ganz hoch in seinem Taxi, nimmt Trinkgelder und trinkt (etc.?) ("And here, she's acting happy inside her handsome home. And me, I'm flying in my taxi taking tips, and getting stoned, I go flying so high, when I'm stoned.").
Das ist also die Geschichte von Harry und Sue; das Lied "Taxi" ist auf der LP "Heads And Tales" 1972 erschienen. Harry Chapin sagte einmal, wie der Mann, wie die Frau tatsächlich fühlen, gehe aus dem Text nicht unmittelbar hervor, es obliege dem Zuhörer, sich in das Geschehen einzulassen, eigene Gedanken und Interpretationen zu dem Dargebotenen zu entwickeln, also nicht nur dazusitzen und sich auf die eine oder andere Art unterhalten zu lassen. Es singe hier nicht jemand direkt davon, daß er einsam ist ("I'm lonely!"), sondern es handle sich um eine "more involving form of music than sitting and hearing somebody sing." In "Taxi" wird -- so sehe ich es jedenfalls -- eine Geschichte erzählt, die dem Zuhörer Assoziationen bietet, aus denen er dann eigene Gedanken entwickeln kann und muß. Wenn Harry denkt, er und Sue könnten ohnehin nicht zusammenkommen (wie sie es beim Aussteigen vermutlich gerne hätte -- offenbar ist ihr Zusammenleben im "handsome home" alles andere als von Glück beseelt, wohl eher gewordene und gelebte Normalität ohne erkennbare Höhen und Tiefen) geht daraus nicht unbedingt hervor, daß seine Gefühle auch in diese Richtung drängen. Das Gegenteil ist eher der Fall, wie seine Gedanken, ja, auch wie sein Sarkasmus am Schluß, es nahelegen.
Mit "Taxi" ist die Geschichte von Harry und Sue jedoch noch nicht zu Ende. Jahre später, 1980, veröffentlichte Harry Chapin sein Album "Sequel" (später dann nochmals als "Remember When The Music" wiederveröffentlicht), dessen Titelsong "Sequel" an die Geschichte von Harry und Sue aus "Taxi" anknüpfte ...
Die Geschichte von Harry und Sue geht also noch ein wenig weiter, nämlich in Harry Chapins Lied "Sequel":
Die unmittelbare Anknüpfung an "Taxi" zeigt sich schon in den ersten zwei Zeilen von "Sequel", in denen die im ersten Lied am Ende aufgezeigte Lebenspraxis beider Protagonisten aufgegriffen wird ("So here she's acting happy inside her handsome home, and me, I'm flying in my taxi, takin' tips and gettin' stoned.").
Aber nun ist Harry nicht mehr als Taxifahrer tätig, mittlerweile hat er es zum Musikstar gebracht, kommt viel zu früh am Ort seines Auftritts an ("I got into town a little early, had eight hours to kill before the show."), denkt zunächst, die Zeit in der nördlichen Gegend der Bucht zu verbringen, weiß aber dann plötzlich, wohin er gehen mußte ("Then I knew where I had to go."). Er überlegt: Soll er sich eine Limousine oder zumindest ein tolles Auto nehmen, entscheidet sich dann jedoch für ein Taxi. Und dies hängt mit seinen Erinnerungen zusammen, erstens habe alles mit einem Taxi begonnen und zweitens sei er vor 10 Jahren dort hinter dem Steuer gesessen und jetzt könne er selbstbewußt und bequem auf dem Rücksitz Platz nehmen. ("But I ended up taking a taxi, 'cause that's how I got this far. You see, ten years ago it was the front seat, drivin' stoned and feelin' no pain, now here I am straight in the back hitting Sixteen Parkside Lane.") Das Ziel also erneut die Stelle, an der damals Sue ausstieg und ihm das exorbitante Trinkgeld überließ ("Harry, keep the change!" heißt es ja in "Taxis".). Dort angekommen, muß Harry aber feststellen, daß Sue umgezogen ist. Der Butler gibt ihm dann jedoch die Adresse von Sue, an die ankommende Post weitergeleitet wird. Harry läßt sich vom Taxifahrer nun dorthin fahren, Sue öffnet die Türe und Harry schildert ihren entsprechenden Blick dabei in einem meines Erachtens sehr aussagekräftigen Bild folgendermaßen: "And the look on her face as she opened the door was like an old joke told by a friend. It'd taken ten more years but she'd found her smile and I watched the corners start to bend." Sue fragt ihn, wie es ihm gehe und ergänzt, ob sie denn dieses Spiel nicht schon zuvor einmal gespielt hätten ("Haven't we played this scene before?"). Harry erwidert, es sei so gut sie zu sehen und er mußte das ganz einfach noch einmal "spielen" ("I said 'It's so good to see you, Sue, had to play it out just once more.' Play it out just once more.").
Sue meint nun, sie habe ihn hoch in ihrem Radio fliegen gehört (eine Anspielung auf Harrys frühern Wunsch als Pilot erfolgreich zu sein und hoch zu fliegen, er aber jetzt ja großen Erfolg als Sänger habe), woraufhin Harry antwortet, das alles sei längst nicht so wie es scheint. ("She said I've heard you flying high on my radio. I answered 'It's not all it seems.'") Sue lacht und kommentiert, es ist manchmal besser, wenn sich Träume nicht erfüllen ("It's better sometimes when we don't get to touch our dreams."). Daraufhin fragt Harry Sue, wie das denn mit der Schauspieleren gewesen wäre. Sue sagt, das wäre jemand anders gewesen ("That's when I asked her where was that actress, she said 'That was somebody else.'").
Harry fragt Sue, wie es denn kommt, daß sie jetzt so glücklich aussieht, antwortet Sue, das läge daran, daß sie sich endlich selbst möge, sich selbst angenommen habe ("I finally like myself, at last I like myself.").
Sie haben sich dann beide den ganzen Nachmittag unterhalten, sprachen darüber, wo sie gewesen waren, redeten über den winzigkleinen Unterschied zwischen dem Beenden und dem ersten Schritt etwas neu zu beginnen ("We talked of the tiny difference between ending and starting to begin."), vor allem auch über die Schwierigkeit, sich über die eignen Gedanken klar zu werden, auch Gedanken und ihr Formulieren in Einklang zu bringen: "We talked because talking tells you things like what you really are thinking about. But sometimes you can't find what your're feeling till all the words run out."
Er bittet sie, abends zu seinem Konzert zu kommen, sie antwortet, sie kann nicht weil sie nachts arbeitet. Harry meint dazu, sie beide wären verdammt gut darin geworden, sich einander zu verlassen; Sue stimmt ihm zu ("I said, 'We've gotten too damn good at leaving, Sue.' She said, 'Harry, you're right.'")
Wie geht es nun unmittelbar weiter? Wie ging es nun wirklich weiter? Hierzu trifft Harry Chapin in "Sequel" keine genaue Aussage. Man solle ihn (Harry) nicht fragen, ob er mit ihr dann intim geworden sei, auch nicht wer von beiden zu weinen anfing, auch nicht weshalb sie das Geld welches er ihr geben wollte nicht angenommen hat. Er ergänzt noch, falls er auf diese Fragen überhaupt antworten gäbe, würde er sicherlich lügen ("Don't ask me if I made love to her or which one of us started to cry. Don't ask me why she wouldn't take the money that I left. If i answered at all I'd lie.").
Harry dachte dann an sie als er abends bei seinem Auftritt sang, er dachte daran wie der Kreis sich immerfort dreht und wie sie mit beiden Füßen auf dem Boden fliegt ("And how she's flying with both feet on the ground."). Er denkt, das ist die Fortsetzung unserer Geschichte, jener Reise zwischen Himmel und Hölle; und die Hälfte seiner Gedanken kreisen darum, was hätte alles sein können, die andere Hälfte dachte, es sei so wie es ist auch gut, ebenso gut, schon in Ordnung ("I guess it's the sequel to our story from the journey 'tween heaven and hell, with half the time thinking of what might have been and half thinkin' just as well.) Und die Antwort darauf? Da meint Harry dann schlicht und naheliegend: "I guess only time will tell". Es wird sich also allein im Laufe der Zeit herausstellen ...
Wenn Sue in "Sequel" feststellt "It's better sometimes when we don't get to touch our dreams.", dann erinnert mich das an Oscar Wildes Aussage "Wenn die Götter uns bestrafen wollen, erhören sie unsere Gebete." Man kann seinen Satz auch allgemeiner, damit auch das einschließend, was nicht in Gebeten ausgedrückt wird, verstehen: "Wenn die Götter uns bestrafen wollen, dann erfüllen sie uns unsere Wünsche." Die Kaiserin Elisabeth I. von Österreich (Sissy) hatte u.a. den sehnsuchtsvollen Wunsch, auf Korfu einen Palast für sich zu bauen. Als das Achilleion dann fertig war, konnte sie sich gar nicht mehr so richtig darüber freuen und meinte "Eines ist mir klar geworden: unsere Träume sind immer schöner, wenn wir sie nicht verwirklichen."
Das besagt doch auch, wie fragwürdig unsere Wünsche oft sind, wie fern von der eigentlichen Tatsächlichkeit, auch wie nebulös. Wie oft hat man denn Wünsche, stellt dann später oft fest, daß der Wunsch mit den tiefen Wünschen eigentlich doch nichts zu tun hat(te), daß das Objekt, das mit der Wunscherfüllung verbunden ward, das falsche war. So gesehen ist es in vielen Fällen tatsächlich besser, wenn ein derartiger Wunsch unerfüllt bleibt. Auf Personen bezogen: Wie oft wird ein Mensch mit Hoffnungen und Erwartungen überfrachtet, ist diesen dann letztlich nicht gewachsen, sodaß beide Seiten an der Wunscherfüllung dann leiden ... Unzählige zerbrochene Beziehungen, Ehen, Freundschaften, ja auch Kameradschaften geben davon ein beredtes Zeugnis! Haben Harry und Sue vielleicht beide zuviel voneinander erwartet? Waren ihre anfänglichen Träume nicht bereits von Anfang an für eine gemeinsame Beziehung inkompatibel? Waren sie überhaupt sich selbst jeweils darüber im klaren, welche Wünsche sie tatsächlich hatten? Hat nicht jeweils der eine in den anderen etwa hineinprojiziert, zu dessen Realisierung man überhaupt nicht in der Lage war? Oder etwas weiter gefaßt: Haben nicht beide ein jeweils subjektives Theaterstück als Stück im Lebenstheater aufgeführt, das von Anfang an zum Scheitern verurteilt war, weil die für eine fundierte Gemeinsamkeit überhaupt keine Basis vorhanden war? Der einschlägige Fragenkatalog ließe sich problemlos umfangreicher gestalten. Man wird bei diesen Überlegungen letztlich dorthin gelangen, wo sich die Frage stellt, was denn Liebe eigentlich sei, wo ihre notwendigen Bedingungen und ihre hinreichenden liegen, das sicherlich wenigstens eine gewisse Trennschärfe bei der Klärung des Begriffes zu leisten ist.
In beiden aufeinander verworfenen Liedern klingt auch immer wieder die Problematik des Verstehens, des Erkennens, des Ausdrücken von Wirklichkeit, ja: von Wahrheit, durch. Ist man sich denn immer sicher, welche "Wahrheit" es gerade in Beziehungsangelegenheiten gibt, welche für einen selbst gelten? Und damit im engen Zusammenhang ist zu fragen, ob und wie man sich diesbezügliche dann auch ausdrücken kann, und zwar auch: authentisch geben kann. Hier sollte mindestens als notwendige Bedingung Voltaires bekanntes Diktum "Alles was du sagst, sollte wahr sein. Aber nicht alles was wahr ist, solltest du auch sagen." beachtet werden. Wie häufig kommt es wohl vor, daß jemand seine eigenen Nöte hofft, über den oder die andere (oder auch über mehrere Menschen) zu lösen! Und es ist (leider oder Gott sei Dank?) schon meistens so, wie es Harry Chapin seinen Ex-Taxifahrer und Sänger als Fazit sagen läßt: "I guess only time will tell." Aber man sollte dieses Delegieren auf die Zeit nicht allzu sehr überstrapazieren. Durch gezielte Eigenschau, durch kritische Betrachtung des Verhaltens jener, auf die man seine Hoffnungen und Erwartungen (von mir aus auch: "Liebe") richtet, könnte wohl so mancher Irrtum vermieden und so manche nicht tragfähige Bindung verhindert werden.
Damit sei gewiß nicht dem volkstümlichen Sprichwort, wonach der Spatz in der Hand besser als die Taube auf dem Dache sei, das Wort geredet, denn auch der "Spatz in der Hand" kann die falsche Entscheidung sein, wie auch die "Taube auf dem Dach", auf die man das Augenmerk richtet ohne letztlich zu wissen, was sie überhaupt für einen zu leisten im Stande ist. Es geht hier nicht um Nähe oder Entfernung nämlich, sondern darum seine eigene Erkenntnisqualität zu verbessern, wozu selbstredend die Verbesserung der Selbsteinschätzung gehört. Und als Vogelfreund gefällt mit ein Vergleich, der hier den Spatz geringer gewichtet als die Taube übrigens ohnehin nicht. Beide Tiere sind individuelle schöne, interessante, wertvolle Tiere, somit jeweils einzigartig in ihrer Art. Die eigentliche Frage ist ja, welche "Einzigartigkeiten" jeweils zusammenpassen, es miteinander können (oder eben nicht) und nicht irgendeine andere Abwägung. Vergleichbarkeit ist ohnehin, sofern man nicht vereinfachen will, immer eine problematische Angelegenheit. Auf Menschen bezogen: wie will man eigentlich in toto Person A mit Person B vergleichen?! Es lassen sich sicherlich einzelne Faktoren vergleichen, wie zum Beispiel das Können, der Erfolg auf einem ganz spezifischen Gebiet; auch hinsichtlich Verhalten kann man von der Gesamtperson abstrahierte Erscheinungsformen vergleichen. Sicherlich geht das ebenfalls bezüglich Verläßlichkeit, wobei hier bereits der Gesichtspunkt einer eventuell unterschiedlichen Verläßlichkeit bei verschiedenen Verhaltensaspekten häufig festzustellen sein wird; unbestritten dürfte sein, daß es natürlich auch Personen gibt, die stets konsequent unzuverlässig sind, aber es gibt auch bei ansonsten verlässlichen Personen eine Relativität im Verhalten, vor allem dann, wenn jene selbst "unter Druck" stehen.
Kurz gesprochen kann man sagen, daß sich wahrliche Verläßlichkeit eines Menschen erst immer dann erweist, wenn er auch unter Bedingungen eigener Stresssituationen diese Verläßlichkeit zu leisten vermag. (Dies betrifft natürlich nicht nur andere, sondern auch einen selbst ...)
Wie selbst aber mit diesen Imponderabilien umgehen? Ein sicherer Weg dürfte es sein, stets auch mit der Unzuverläßlichkeit eines anderen zu rechnen, zu antizipieren, selbst eben entsprechende Verhaltensalternativen für den Fall des Falles sich zu überlegen. Hierzu ein einfaches Beispiel: Ich kannte einmal einen, der sehr hilfsbereit war, wie auch der Rest seiner Familie. Oft hatte er mich zu sich eingeladen, bei ihm ein paar Tage zu verbringen. Leider hatte der -- ansonsten wirklich nette Mensch -- immer wieder auch schon mal gezeigt, daß auf sein Wort kein Verlaß war. Auch hattte ich es schon erlebt, daß er plötzlich trotz getroffener Vereinbarung nicht auffindbar war. Im Nachhinein stellte sich heraus, daß in den derartigen Fällen er dann etwas für ihn im Moment Wichtigeres zu tun hatte und diesem nachging. Er zeigte also so etwas wie eine partielle Unzuverläßlichkeit. Aber ich mochte ihn einfach. Und war halt so. Meine Vorsorgemaßnahme war dann: immer wenn ich wieder einmal von ihm eingeladen wurde, besorgte ich mir sicherheitshalber eine kurzfristig zu stornierende Hotelunterkunft in der seinem Wohnort nahegelegenen Großstadt. Diesen Weg hielt ich für sinnvoller (und auch für sozialverträglicher) als mit ihm über seine teilweise Unzuverläßlichkeit zu "diskutieren"; es hätte nämlich nichts gebracht: einerseits hätte er verständnislos reagiert (denn er erlebte sein manchmal sprunghaftes Verhalten völlig anders) und andererseits hätte es zu keiner Änderung bei ihm geführt. (Allerdings sollte man seine eigene Fähigkeit zur "Toleranz" auch auf diesem sensiblen Gebiet von Beziehungen nicht überstrapazieren! Als wieder einmal er hochgradige Unzuverläßigkeit zeigte, beschloß ich, den Kontakt zu ihm abzubrechen. Er hat es wohl nie verstanden, ich schon.)
Wir kennen Unzuverläßlichkeit auch aus vielen anderen Bereichen. Der kluge Reisende wird zum Beispiel bei einer gewählten Zugverbindung (nicht nur für die Hin- sondern auch für die Rückfahrt) damit rechnen, daß es mit der Verbindung entgegen der gebuchten Fahrt (vielleicht sogar mir Zugbindung!), entgegen der Planung doch nicht klappt oder daß die Rückfahrt aus irgendwelchen Gründen nicht wie vorgesehen erfolgen kann. Also wird er sich im Vorfeld sowohl zeitlich als auch preislich entsprechende Gedanken um Alternativen machen, dies natürlich in der Hoffnung und Erwartung, alles möge so verlaufen wie eigentlich vorgesehen.
Weiter oben habe ich Anmerkungen zum Umgang mit "Wahrheit" gemacht. Dieser hat aus meiner Sicht ebenfalls neben anderen Aspekten mit "Verläßlichkeit" zu tun, nämlich mit dem Vertrauen darauf, der andere lügt einen nicht an. Das ist natürlich ein schwieriges Feld: denn wer lügt eigentlich nie ...? Ich denke, es gibt niemanden, der immer die Wahrheit spricht! Das Vorenthalten von "Wahrheit" kann ja auch "gut" gemeint sein (im krudesten Fall bis hin zum "Gutmenschentun"), kann aus der subjektiven Überzeugung, den anderen dadurch zu schonen, erfolgen, häufig wohl auch aus der Furcht, den anderen durch eine (für ihn oder für sie unangenehme) Offenheit zu verlieren, u.a.m.
Was aber nun tun, wenn jemand beim Lügen zweifelsfrei ertappt worden ist oder aber "nur" die Vermutung (hoffentlich dann wenigstens auf etwas Evidenz basierend ...) vorherrscht, der oder die andere lügt, wobei ich auch das Beschönigen von Problemlagen und entsprechende Ablenkmanöver im Umgang mit der Realität zu Formen der Lüge rechne? Ein Weg dürfte in den allermeisten Fällen nicht besonders zielführend sein: dem anderen zu sage, er oder sie lüge, man glaube es nicht, man denkt dagegen es sei so oder so. Denn wer der Wahrheit ausweicht, wird dann wohl kaum -- sieht man einmal davon ab, die Lüge ist vollkommen offensichtlich und als solche einwandfrei zu "beweisen" -- plötzlich zugeben, wie es sich wirklich verhält. Die direkte Ansprache führt also da wohl kaum weiter. Ich halte es für den besseren (auch: besser gangbaren) Weg, sich seinen Teil zu denken, sich seine eigene Position zu jener Person entsprechend zu überdenken und vor allem den anderen Menschen nicht noch weiter in seine / ihre Zwangslage (denn das ist es für einen doch, wenn er sich zum "Lügenmüssen" entschlossen hat!) zu drängen. Und je nach der subjektiv bewerteten Art und empfundener Schwere der "Lügengeschichte" wird man dann entweder so weit als möglich einfach darüber hinwegsehen oder aber die Konsequenz ziehen, den Umgang mit jener lügenden Person zu reduzieren und auf die Bereiche beschränken, die eben noch aufrichtigerweise möglich sind oder aber die Beziehung gänzlich aufgeben. Das hat aus meiner Sicht dann überhaupt nichts mit Feigheit, Furcht vor der Auseinandersetzung oder gar irgendwelcher Angst zu tun: das ist schlicht die Einsicht in das Machbare, in Grenzen und Möglichkeiten. Und trotz aller in solchen Fällen empfundenen persönlicher Not oder gar Kränkung gilt: der andere ist eben so und man sollte ihn / sie gerade deswegen nicht in irgendeine Ecke drängen, weil ohnehin sinnlos. Das wäre gewiß dann anders zu sehen, könnte man durch eine entsprechende Auseinandersetzung Verhaltensänderung und Aufrichtigkeit bewirken. Aber genau das dürfte fast immer mißlingen. Also: es besser gleich bleiben zu lassen. Damit leben oder falls man es nicht anders zu (er-)tragen vermag: andere Wege zu gehen, dies in der Hoffnung auf anderweitige Aufrichtigkeit. (Aber nochmals sei hier betont: den Blick in den eigenen Spiegel nie vergessen!) Es ist eben so: auch dieses jeweilige Verhalten ist auf die jeweilige Person bezogen unter anderem immer auch ein Aspekt der "Einzigartigkeit"; kann man diese nicht ertragen, muß man eben Wege dorthin finden, wo sich dann die andersgeartete "Einzigartigkeit" besser ertagen läßt. Kurz: Jede(r) muß für sich die passende "Einzigartigkeit" finden.
Ich habe eben nochmals von "Einzigartigkeit" gesprochen, ein Attribut, das sicherlich -- zumindest im ersten Liebesrausch -- viele ihrem "Liebesobjekt" zuordnen dürfen. Aber ich verstehe unter diesem Begriff noch mehr, nämlich all jene Menschen, die sich nicht dem Druck der Konformität so leicht oder besser: gar nicht, unterordnen. Ich meine damit auch: Originale. Somit auch das Sehen und Erleben von Besonderheit, eben auch: von Einzigartigkeit, die erste Euphorieschübe nach dem Kennenlernen überdauern. Naheliegend dürfte es sein: je individueller ein Mensch, desto anstrengender (aber sicherlich auch in den allermeisten Fällen: desto bereichender) ist er für den Partner, für die Partnerin. Beim Massenmensch, beim Durchschnittsmensch, bei all jenen, die dem Mainstream bereitwillig folgen, sehe ich zwar auch die oben genannten Fallstricke für "Beziehungen", freilich dürften dort wegen des höheren Grades an Gleichgesinntheit, an Gleichschaltung in den Orientierungs- und sozialen Verankerungsweisen die Anzahl der kritischen Berührungspunkte geringer sein. (Dies schließt natürlich trotzdem die Möglichkeit heftigster Dissenzen nicht aus, lediglich die Anzahl der Auslösefaktoren sind da in aller Regel reduzierter.)
Wer auch immer Hoffnungen auf ein erfülltes Leben hat, wird diese in einer Beziehung auf der Grundlage selbsterkannter Anspruchsregungen versuchen, erfüllt zu bekommen. Dies gelingt jedoch nur in den seltensten Fällen mit einem Partner / Partnerin mit anderen Schwerpunktsetzungen, auch selbstverständlich dann nicht, wenn beim Partner die Voraussetzungen für das Eingehen auf Hoffnungen, auf Erwartungen beim anderen fehlen. Das ist natürlich dem anderen nicht vorzuwerfen; man hat eben in solchen Seins- und Gefühlslagen entsprechende Schwerpunkte zu setzen -- bis hin zu denen, einen Partner der heillos überfordert ist, zu verlassen. Am besten wäre es jedoch: im Vorfeld sich ehrlich zu machen, hinsichtlich sich selbst und hinsichtlich des Erkennens des / der anderen, das um spätere Enttäuschungen zu vermeiden oder wenigstens zu reduzieren. Und dieser Problematik sind sicherlich alle Menschen, die sich anderen zuwenden wollen, ausgesetzt, egal ob hochgradig individuell oder eher dem Massentypus zuneigend. Für alle dürfte deshalb auch das gelten: Man hat sich zuerst mit dem eigenen Inneren, mit der eigenen Unzufriedenheit, mit der -- wenn dem so sein sollte -- eigenen inneren Leere, also mit seinen eigenen Schwächen (und natürlich auch: den eigenen Stärken) auseinanderzusetzen und somit zu reifen. Wer anderen nichts "bieten" kann, wird auch von anderen nicht allzu viel verlangen dürfen. Was nicht funktionieren dürfte: die Unmöglichkeit einer Bindung, einer Verlässlichkeit, einer Vertrauensbasis, die eigene Unfähigkeit als Grundlage für "Liebe" zu nehmen. Das wäre nichts anderes als Selbsttäuschung. Ein so ausgesprochenes "Ich liebe dich!" ist dann eher Resultat aus Nichtverstehen eigener Seinslage und Disposition.
Liebe und Freundschaft der meisten Menschen ist ein Füllen der eigenen Leere mit fremden Inhalt.
Friedrich Hebbel
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Let us dare to read, think, speak, write and dream ...
Weite Wege, nahe Fernen, weite Nähe, nahe Greifbarkeit ...
Geselligkeit kann schön sein, aber ...
Der Mensch gilt gemeinhin als soziales Wesen. Insofern dürfte der Kontakt zu anderen Menschen zumindest wichtig sein. ABER: Wie bei allem, kommt es doch gerade hier besonders auch auf die Qualität an! Kurz gesagt: Lieber keine Kontakte als schlechte, niveaulose, langweilende, letztlich vor allem nichtssagende oder gar vor Verlogenheit strotzende.
Vor allem all das, was als »geselliges Zusammensein/Beisammensein« angeordnet wird, all jene Veranstaltungen die mit pflichtgemäßer Anwesenheit (sei sie implizit oder explizit gefordert) verbunden sind, all jene Treffen, welche letztlich nur dem Vertreiben von gefühlter oder tatsächlicher Langeweile ihren Ursprung verdanken, jene erzwungenen Zusammenrottungen, welche vorgeblich der Gemeinschaftspflege dienen, dürften den wirklichen Zweck fruchtbringenden sozialen Miteinanders kaum beziehungsweise höchstselten, meistens jedoch: überhaupt nicht, erfüllen. Besonders in diesem Zusammenhang dürfte der Satz »Das gehört sich eben so, das ist Brauch, ist Tradition!« , was seine tatsächlichen Auswirkungen angeht, völlig deplaziert sein. Sinnlosigkeit und Oberflächlichkeit ersetzen jedenfalls nicht das Bedürfnis nach Mitmenschlichkeit.
Dieses Gefühl eines sinnlosen, unergiebigen »Miteinanders« hat Frank Schulz in seinem Roman »Morbus fonticuli oder Die Sehnsucht des Laien« bei der Schilderung einer sogenannten Geselligkeit einmal sehr treffend dargestellt: »Ich blickte verstohlen von Gast zu Gast, um einen ähnlich wie ich erschütterten Bundesgenossen zum Zufeixen auszumachen, fand aber niemanden. Niemand reagierte in auch nur irgendeiner Form auf diese gespenstische Blamage. Alles begann sofort weiterzuplappern – aus lauter Angst vermutlich, der nächste Taifun des Schweigens braue sich bereits zusammen.« (Eichborn, Frankfurt a. Main 2002, S.532 / der zweite Band von Frank Schulzens Hagener Trilogie)
Gewiß, ich teile die Einrede all derjenigen, die hinsichtlich des Ich-Erzählers aus Morbus fonticuli kritisieren, es gebe doch auch in der irgendwie zusammengepferchten Masse immer ein paar Menschen, denen man dann doch noch »zufeixen« könne, mit denen zumindest ein stilles Einvernehmen darüber bestehe, was da jeweils tatsächlich abläuft, mit denen ein intensives Miteinander möglich sei. Aber: Warum dann sich nicht nur mit diesen in einer ungestörteren Gemeinsamkeit treffen, zusammentun? Weshalb sich denn jenen als Störung, als Belästigung empfundenen Zwängen somit unterordnen? Warum nicht der Devise Qualität statt Quantität folgen! Warum nicht einfach ein deutliches Nein! zu jener Pseudogeselligkeit, mit der man, letztlich sich selbst täuschend, glaubt, Formen des Alleinseins und des alltäglichen vielfachen Gegeneinanders übertünchen zu können? Ein Berliner Liedermacher (Mario Hené) hat dieses Phänomen einmal in seinem schönen Lied »Lieber allein als gemeinsam einsam« behandelt; freilich, er bezog sich darin auf eine Zweierbeziehung, aber aus meiner Sicht ist das problemlos auf Massenphänomene wie Groß- oder gar Megafeten, auf diverse Arten von mehr oder weniger erzwungenen Zusammentreffen, übertragbar.
Echte Gemeinsamkeit, wirkliche Solidarität, gelebtes Miteinander kommen eher still und beständig daher als in krawallhaftem, krakeelendem Tun und oberflächlicher Geschwätzigkeit oder Parolenschwadronierei!
Viele der bekannten Gartenpartys mögen in aller Regel – sofern sie nicht für die nahe Umgebung bereits eine Belästigung und Zumutung darstellen – noch eine der harmlosesten Varianten eines oberflächlichen bier- oder weinseligen (ohne Alkohol und Lautstärke geht es bekanntlich für die allermeisten »Feiernden« schon mal gar nicht!) Miteinanders sein. Gut, man kann dies natürlich mit einem lockeren »suum cuique« abtun, vielleicht sogar unter eigene Toleranzleistung subsumieren, allerdings bestenfalls nur solange das Ganze nicht normativen Charakter annimmt. Und das dürfte im privaten Rahmen zumeist nicht der Fall sein (von den immer wieder »beleidigten Leberwürsten« einmal abgesehen, die eigene »Mißachtung« sofort als »Geringschätzung« sehen und ihre ureigenen Minderwertigkeitskomplexe dann auswuchern lassen), jedoch sobald derartige Veranstaltungen einen öffentlichen Charakter einnehmen (und das beginnt bereits bei kleineren ritualisierten Zwängen im vereinsmeierischen oder betrieblichen Kontext) sollte man sehr wohl abwägen, ob man nicht besser dem folgt, was Rick Nelson einmal in seinem erfolgreichen Song »Garden Party« angeraten hat: einfach beizeiten gehen oder erst gar nicht dort erscheinen ... Die Kraft zum Neinsagen aufbringen, den Mut zum Nichtmitspielen zeigen!
Man sollte den Begriff »peinlich« nicht allzu sehr strapazieren; denn das Allermeiste, was der Volksmund vorschnell gerne als Peinlichkeit empfindet und dies dann gleichsam definitorisch allzu gerne zu verallgemeinern versucht, ist fern von jenem Peinlichen, das entsteht, wenn ein gemeinsames Schweigen unmöglich wird, wenn Lautstärke die gemeinsame Orientierungslosigkeit zu verbergen versucht, wenn man gegenseitig sich durch mehr oder weniger die Wirklichkeit beschönigende Lügengeschichten zu unterhalten vermeint, wenn Lüge und Täuschung zu gelebter Wirklichkeit werden.
Diese Peinlichkeit hat Wilhelm Genazino wohl gemeint, als er seinen Apologeten in »Ein Regenschirm für diesen Tag« (Hanser Verlag, München, 2001, S. 85) sagen läßt: »Ich warte auf den Tag, an dem alles, was lebt, seine Peinlichkeit eingesteht.«
Allerdings dürfte man auf derartiges Eingeständnis auf jenen Festen der Lautheit und Oberflächlichkeit, auf jenen Verdichtungen der Nichtssagenheit eher vergeblich warten; viel lieber bleiben jene herdenhaft dem Diktat folgenden Teilnehmer auf der Flucht vor Begegnungen, die sie aus ihren Tagträumen reißen könnte und wer gibt denn auf solchen Begegnungen der gefrorenen Maskenhaftigkeit schon gerne zu, daß das eigene Leben eine beispiellose Peinlichkeitsverdichtung sein könnte. Mit anderen Worten: Wer schafft es denn, sich den Zwängen gebotener Unterordnungsszenarien schon zu entziehen und aufrichtig sowie ehrlich zu bleiben?
Wer jedoch diesen Weg der Gegenwehr dort suchen sollte, wird sehr schnell eines erfahren: Isolation bis hin zu aggressiver Gegenwehr. Also kann für jene, die solche Spiele nicht mitspielen wollen respektive können, die Alternative nur lauten: Nicht hingehen, meiden, die dadurch entstehende Ablehnung der Masse in Kauf nehmen und den so erfahrenen Gewinn mit den wenigen teilen, denen man immer auch »zufeixen« kann, mit denen stilles Einvernehmen besteht, von Anfang an ... Eben: wirkliche Geselligkeit leben können und dürfen.
(Fagusarua 08.08.2020)
IEH – TSEH – EH 
Rollende Einheit der Geschwindigkeit:
immer schneller, immer größer,
mehr Künstlichkeit als Natürlichkeit:
verwaltet, verwöhnt, versorgt.
Vorbei: sanfte Beschaulichkeit!
Vorbei: ruhigende Entschleunigung!
Vorbei: Vielfalt und Tiefe im Reisen!
Vorbei: beschauliches Fortkommen!
Wo geblieben: vorbeigleitende Landschaften?
Wo geblieben: die Laute aus schöner Vielfalt?
Wo geblieben: Nähe und gute Begegnungen?
Wo geblieben: die alte Sprache aus Heimat?
Sänk juh werri matsch for dräffeling wiss ...!
Vieles: monoton, mechanisch heruntergeleiert:
marionettenhaft gesteuert von Vorgaben,
allzu oft sinnentleert und die falsche Moderne.
Nun: Willkommen an Bord – AN BORD!
Nun: Service Point, Counter, Kiss & Ride.
Nun: mehr trostlose Quantität statt Qualität.
Nun: Unruhe, Unsicherheit, Talmi-Mythen.
Smartphone-Idyllen als trüber Ersatz für
Wirklichkeit, Ruhe und Beschaulichkeit.
Enge und Rücksichtslosigkeit, Zeitgeist:
Hier auch wiederbelebt: IEH – TSEH – EH
Hektik, Hetze, Verspätungen, verlorene Zeit,
Ausgleichszahlung für Unannehmlichkeiten,
Massenverkehr als Humus für Aggression,
Nährboden für misanthropische Gefühle ...
Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit nur als
Bemühen – der Erfolg zumeist versagt.
Volle Züge, Zugausfälle, Materialversagen:
Erleben jener Bandbreite wahrscheinlich.
IEH – TSEH – EH, du Verwaltungsagent
Spiegel vom Ausschluß der Natürlichkeit.
Ein Singsang aus Allerweltsnivellierung,
Gefühlt: eine der dunklen Seite des Mondes.
Rollendes Geschoß aus Gigantomanie:
Verkehrung von Sinnhaftigkeit,
das Reisen zum Transport verkümmert;
entwertet, enteilt – entfremdet!
(fagusarua, 07./ 08. 10. 2019)
NICHT HÖHER, SCHNELLER, WEITER --
SONDERN: langsamer, bewußter, aufmerksamer ...
"Wenn ein Mann sich für unwiderstehlich hält,
liegt es oft daran, daß er nur dort verkehrt,
wo kein Widerstand zu erwarten ist."
Francoise Sagan
Habe Hoffnungen, aber niemals Erwartungen. Dann erlebst du Wunder, aber niemals Enttäuschungen.
Franz von Assisi
FRAGE: Wer bist Du, wenn Du niemand sein mußt? ... Finde darauf eine Antwort für Dich!
"Die Ermüdbarkeit eines Menschen steht in umgekehrtem Verhältnis zu seinen wirklichen Interessen."
(Heimito von Doderer, Die Strudelhofstiege, dtv, 18. Aufl. 2003, S. 196)
Erwachen in einem neuen Jahr:
Hin zur alten Brücke
Gedult als Vorfreude
Herz erfüllt mit Warten
Erwarten bereits als Lohn
Sie fliegen im Morgengrauen
Welch Geschenk aus Himmelshöhe
Glücksgefühle und tanzendes Herz
Was könnte denn schöner sein?
Abends auf des Schiffes Deck
Warten geduldig auf die Rückkehr
Der Glücksvögel in ihre Schlafplätze
Sie und dieses Strahlen aus
Augen bis vor kurzem noch fremd
Gewiß mit einer der schönsten Tage
im bisherigen Leben
Begleitet von Trompetengesängen
(21. Oktober 2017, in der Boddenlandschaft)
Weihnachtszeit 2017 (Gedanken in Wort und Bild) ...
Es ist nicht genug zu wissen, man muß auch anwenden.
Es ist nicht genug zu wollen, man muß auch tun.
Johann Wolfgang von Goethe
Weihnachtsgedicht 2017
Kalte Zeit
Die Störche sind längst davon gezogen
Haben nun ihren eigenen Weg gefunden
Und manch ein Mensch fühlt sich betrogen
So wertet er mühsam all die vielen Stunden
Die er leichtfertig in den Wind gesendet
Und menetekelhaft im Jahr vergeudet hat
Das Schicksal feige wieder nicht gewendet
Stets gehetzt und gierig wie ein Nimmersatt
Wo einstWintergezwitscher tönte ringsum
Wo man sich konnte an den Federn freuen
Da bleibt es nun zumeist gefährlich stumm
Und es gäbe viele tausend Gründe zu bereuen
Doch jetzt zu Weihnacht schnell Kreide fressen
Um es dem bösen Wolfe im Bette gleichzutun
Ganz schnell all die Untaten sogleich vergessen
Sich so scheinheilig verstecken in Huldigung
All dessen was dereinst einmal nur heilig war
Was einmal wirklich Sinn und Halt gegeben
So manch Pharisäer marschiert nun zum Altar
Und tut als würde er ehrlich und sittsam leben
Als wäre Achtung vor der Schöpfung sein Ziel
Als würde er alles Lebendige wirklich achten
Dabei eine Fassade aus Schande ist sein Profil
Man muß nur genauer diese einmal betrachten
Ach wäre man doch Storch mit stolzen Flügen
Hinweg könnte man segeln in andere Weiten
Fort von all den dreisten vielfältigen Lügen
Ganz einfach bescheiden Lebendiges geleiten
Und bliebe dann ein Kern notwendig Glück
Hätte man auf Flügen eine Rücksicht erfahren
Kehrte man wie manch Storch wieder zurück
Und würde stets weiser mit all seinen Jahren
(Fagusarua 23.12.2017
Gedanken zu Weihnachten
Hermann Hesse hat es drastisch ausgedrückt (s.o.), hat Weihnachten, dessen eigentlicher Sinn längst abhanden gekommen ist als einen "Inbegriff, ein Giftmagazin aller bürgerlichen Sentimentalitäten und Verlogenheiten, Anlaß wilder Orgien für Industrie und Handel" beschrieben. Dies bereits 1927(!), woraus man sehen kann, daß wir uns in dieser Verlogenheit und Oberflächlichkeit seit damals zweifelsfrei noch zu steigern wußten -- man sehe und höre nur, was heutzutage im Kontext mit Weihnachten alles abläuft, was da so alles "verkündet" und der Bedürfnisbefriedigung persönlichen Wohlergehens angeboten oder gar angemahnt wird, wie die Unterscheidung zwischen "Wahrheit" und "Lüge" einem jeden zunehmend höchste Anstrengung abverlangt, wie jenes vielfach festzustellende ideologieträchtige Gesülze einen eher gerne kotzen ließe ...
Hesse beendete seine Betrachtung mit einem entscheidenden Gedanken: Weihnachten erinnere ihn an "tausend Dinge(n), die mir bitter verhaßt und zwider sind und die mir viel gleichgültiger und lächerlicher vorkämen, wenn sie nicht den Namen des Heilandes und die Erinnerung unserer zartesten Jahre so furchtbar mißbrauchten." Aus diesen Gedanken hallt auch eine gewachsene Kultur wider, der Gedanke an die Einfachheit der Weihnachtsgeschichte im materiellen Sinn, gleichwohl aber auch das Wissen um eine tiefgehende Botschaft, nämlich sich dem wirklich Wesentlichen -- fernab weltlichen Protzertums, fernab der Hektik und der Gigantomanie -- zu öffnen, in sich zu gehen, Bescheidenheit lebendig werden lassen und echten Gefühlen wieder Raum zu geben.
Man muß nicht Anhänger (oder auch nur Mitläufer) des institutionalisierten Glaubens sein, um diese Weihnachtsbotschaft als sinnstiftend und als DIE Aufgabe empfinden, leben, spüren zu können. Aus Hesses Gedanken (er steht natürlich hier nur stellvertretend für viele andere echten Denkenden!) wird einmal mehr deutlich, was wichtig und was unwichtig ist, sein sollte, wenn es um Weihnachten geht. Man kann an Gott glauben, man kann es auch bleiben lassen: die Weihnachtsbotschaft dürfte ungeachtet ihrer geschichtlich-religiösen Einbettung für alle von allergrößtem Wert sein, so man denn sich darauf einlassen möchte, darauf einzulassen "wagt": Achtsamkeit, Muße, Bescheidenheit, Respekt (vor allem gegenüber allem Lebendigen"!) --- und Ruhe, das Mühen um Zufriedenheit im Kleinen. Nicht ein unkritisches Sich-unterwerfen unter jene großen Wörter, zuallermeist salbungsvoll tönend, die letztlich eher Seifenblasen ähneln und schnell wieder ins Nichts, in die Unverbindlichkeit entschwinden, kann die Antwort auf Weihnachten sein!
Das geschichtlich Gewachsene, das Gewordene kann -- wenn man dazu die Bereitschaft aufbringt, wenn man nicht Verdrängungsmechanismen huldigt -- Grundlage zu "Heimat", zu "Sinn", zu "Wertempfinden", zu "Geborgenheit" sein. Damit einher geht -- das macht auch Hesse deutlich! -- die wahre Sentimentalität, gespeist aus den "Erinnerung unserer zartesten Jahre". Das ist etwas gänzlich anderes als jene vielfältigen Formen von erzeugter Sentimentalität, als das was vielfach von Kanzeln und medialen Vermittlungen (von welcher "Prominenz" auch immer ...) an unsere Ohren dröhnt und sich versucht, in unsere Sinne einzuschleichen! Vielfach erleben wir immer wieder gerade zur Weihnachtszeit und zum Jahreswechsel jene Charaktermasken aus (unechter) Dauergüte, (falschem) Willkommenslächeln, jene (unsäglichen, weil letztlich inhaltsleeren) Wörterhülsen; das alles ist nicht Weihnachten, das ist nur eine Authentizität als Rollenspielgerinnung geboren, echt zwar in dem Sinne, weil jene Personen eben so geworden sind und dies -- sei es bewußt oder unbewußt -- so in ihrem Auftreten umsetzen, es ist aber gerade nicht die ganz besondere Authentizität, wie sie uns die Weihnachtsgeschichte abverlangt.
Weihnachten sollte keinen Platz für derartige Formen von deformation professionelle haben; Weihnachten sollte für jeden einzelnen ein weiterer Anlaß im Jahresrythmus sein, einem echten Menschen mit all seinen Stärken und Schwächen, mit all seiner Fähigkeit zu Güte aber auch mit den in ihm lebenden Zweifeln und Gefahren, sicherlich auch vor allem mit seinem Bemühen, dem eigentlichen Sinn des Lebens und dem Eigen-Sinn (das ist das Gegenteil von: Eigensinn!!!) näher zu kommen, an dieser Zielvorgabe wenigstens zu arbeiten...
Zur inneren Einkehr, m.E. eines der wichtigsten und sicherlich gebotenen Orientierungen in Zusammenhang mit Weihnachten ist die Besinnung auf den "Wert" des Umgangs, dies nicht ausschließlich in einem utilitaristischen Sinn zu verstehen, mit bestimmten Menschen: "58. Dem Gesetze deiner Natur gemäß zu leben, kann niemand dich hindern; dem Gesetze der gemeinsamen Natur zuwider kann nichts dir zustoßen. 59. Wer sind die, denen man gefallen möchte, und um welcher Vorteile willen und durch welche Mittel? Wie schnell wird die Zeit alles verhüllen, und wie vieles hat sie bereits verhüllt! (Marc Aurel, Wege zu sich selbst, Sechstes Buch, S.89, Hamburg, Nikol Verlagsgesellschaft, 2009) Marc Aurel schildert zu Beginn dieses Buches zumindest auch Teile seines wesentlichen Selbstverständnisses: "1. Von meinem Großvater Verus habe ich gelernt, leutselig und saftmütig zu sein. 2. Vom ruhmvollen Gedächtnisse meines Vaters erhielt ich den Antrieb zu einem anspruchslosen und zugleich männlichen Wesen. 3. Meine Mutter flößte mir den Sinn für Gottesfurcht, Freigebigkeit und Enthaltsamkeit nicht nur von bösen Taten, sondern auch von derlei Gedanken, überdies Liebe zur Einfachheit in Nahrung und zu einer von der Üppigkeit der Reichen abweichenden Lebensweise ein. 4. Meinem Urgroßvater habe ich es zu verdanken, daß ich in keine öffentliche Schule gehen mußte, vielmehr zu Hause den Unterricht guter Lehrer genießen durfte und daneben einsehen lernte, daß man in solchen Dingen keine Ausgaben sparen sollte." (a.a.O., Erstes Buch, S.5) Es geht also nicht um immer mehr, immer schneller, immer mehr, immer lauter, immer auffallender, schon gar nicht um immer wortgewaltiger und bedeutungsschwangeren Redeschwall, nein es geht: um wirkliche Substanz, um eine Wahl anzunehmen und eine Entscheidung für qualitatives Leben zu treffen! Man lese nur einmal Marc Aurels "Selbstbetrachtungen", dort wird man nicht Formen der Selbstüberschätzungen und das Breittreten hohler, nichtssagender Phrasen, Verkürzungen und Oberflächlichkeit (man kann dies durchaus auch: Geistesarmut nennen!) finden, wie es wohl den allermeisten unserer heutigen Politikern und Medienmachern sowie auch immer gearteten "Lehrmeistern" und "Lehrmeisterinnen" vorzuwerfen ist (damit natürlich auch bis in weiteste Kreise der Bevölkerung hinein verbreitet!) Wie hat Marc Aurel sich selbst "gezähmt"? Besonders bedeutsam erscheint mir seine folgende reflexive Aussage: "Sieh zu, daß Du nicht verkaisert werdest! Nimm einen solchen Anstrich nicht an, denn es geschieht so leicht. Erhalte dich also einfach, gut, lauter, ernsthaft, prunklos, gerechtigkeitsliebend, gottesfürchtig, wohlwollend, liebreich, standhaft in Erfüllung deiner Pflichten. (...) Ehre die Götter, fördere das Heil der Menschen!". (a.a.O., Sechstes Buch, Nr. 30, S. 80) Möchte man diese Ratschläge nicht auch gerade so manchen in welcher Form auch immer herrschenden Positionsrolleninhaber zurufen?! Aber nach aller Erfahrung gilt da wohl leider: die allermeisten von ihnen würden nichts davon hören wollen, nichts davon begreifen, folglich auch nichts davon in ihrer eigenen Lebenspraxis und im Umgang mit denen, für die sie sich nach eigenem Diktum verantwortlich fühlen, umsetzen.
An Marc Aurels Selbstbetrachtungen haben unter anderem Friedrich II. und Helmut Schmidt fruchtbringend Anteil genommen, andere dürften ihn, sofern sie ihn überhaupt zur Kenntnis genommen haben, bestenfalls nicht verstanden haben. Für Marc Aurel waren Übereinstimmung mit der Allnatur, das Prinzip, sich von Vernunft leiten zu lassen sowie das Handeln als Gemeinwohlorientierung keine leeren Phrasen, sondern immanente Aufgabe und eine unveräußerliche (Selbst-)Verpflichtung. Mögen sich daran auch unsere Zeitgenossen ein Beispiel nehmen, man selbst eingeschlossen!
Weihnachten wäre sicherlich eine geeignete Zeit, eine Gelegenheit, einmal sich Einhalt zu gebieten, versuchen sich darüber ehrlich zu machen: was ist denn tatsächlich die maßgebliche Richtschnur für eigenes Denken und Handeln? Zu Weihnachten sich darüber klar zu werden, ob man sein Leben nicht allzu sehr der Hektik, oberflächlicher Beeinflussung, trivialer Schnödigkeit überantwortet hat!
Wie schön und zutreffend hat jener Marc Aurel (auch: Mark Aurel, Marcus Aurelius, römischer Kaiser von 161 bis 180, geboren 26. April 121 in Rom, gestorben 17. M;ärz 180 in Vindebona; als Princeps nannte er sich dann übrigens selbst Marcus Aurelius Antonius Augustus -- sein Vorgänger war sein Adoptivvater Antonius Pius) auch hier eine Handlungsmöglichkeit im Vierten Buch aufgezeigt: "Man sucht Zurückgezogenheit auf dem Lande, am Meeresufer, auf dem Gebirge; und auch du hast die Gewohnheit, nach einem Aufenthaltsorte dieser Art dich lebhaft zu sehnen. Aber dieses alles verrät im Grunde eine sehr beschränkte Ansicht. Steht es dir ja frei, zu jeder dir beliebigen Stunde (sic!, d.V.) dich auf dich selbst zurückzuziehen. Gibt es doch für den Menschen keine geräuschlosere und ungestörtere Zufluchtsstätte als seine eigene Seele, zumal wenn er in sich Eigenschaften trägt, bei deren Betrachtung für ihn alsobald eine vollkommene glückliche Stimmung eintritt, eine Stimmung worunter ich nichts anderes verstehe, als sittliche Wohlordnung. Gönne dir nun immerdar dieses Zurücktreten ins Innere und verjünge so dich selbst! Kurz aber und einfach seien die Grundsätze, deren bloße Vergegenwärtigung sogleich genügen wird, deine Seele vollständig zu reinigen, allen Unmut aus dir zu entfernen und dich fern von Widerwillen in die Verhältnisse zurückzubegleiten, in denen du wiedereintreten mußt." (a.a.O., S.36f.)
Wahrlich, wahrlich, er trägt den Beinamen Augustus völlig zu Recht: August = der Erhabene! Wie oberflächlich, häufig gar inhaltsleer und armselig nach meiner Einschätzung dagegen zumeist die Gedanken und Reden unserer heutigen Repräsentanten, gerade auch wenn sie sich zu Weihnachten und zum Jahreswechsel äußern!
Es sind zumeist Phrasen, welche niemandem helfen, wohl kaum jemanden, der sich Tiefgang erhofft, auch nur im geringsten anregen (schon eher: aufregen ...) können. Sie zeigen eher eine Form der Wirklichkeitsabgewandheit, der Hilflosigkeit im Denken und im Handeln, sind als Schönwetterreden und in ihrer euphemistischen Grundtendenz allzu leicht zu durchschauen. Man möchte da in vielen Fällen gerne jenes berühmt "Si tacuisses, philosophus mansisses!" ausrufen, nimmt davon freilich Abstand, denn das setzte ja voraus, daß jene Proklamateure zuvor jemals Philosophen oder -- der Zeitgeist verlangt das ab -- Philosophinnen gewesen sein müßten. Waren sie natürlich nicht, sie sind es auch nicht, sie werden es wohl auch nie sein ...
Wenn ich erfahren muß, daß beispielsweise der evangelische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm in diesem Jahr seine Weihnachtsbotschaft vom Münchner Hauptbahnhof aussendet, weil er ihn für "einen Ort der Beziehung" hält, "der mitten im Leben steht - und deswegen passt er so gut zu Weihnachten!", dann frage ich mich schon, ob da nicht ein diesbezüglich unrealistisches Verständnis von Wirklichkeit denk- und handlungsleitend ist. Der Bischof argumentiert, wie auf einem Bahnhof die verschiedenen Menschen, Arme und Reiche, aufeinanderträfen, so kämen auch in der Krippe mit Hirten und Königen sehr unterschiedliche Gruppen zusammen und -- "Sie alle spüren; Es ist etwas großes passiert!"
Vielleicht sollte sich der Herr Bischof einmal mehrere Stunden an einem jener Großbahnhöfe aufhalten, Menschen und Treiben dort beobachten, die Hetze und Hektik, das Aneinandervorbeirennen (der Sache geschuldet: es gilt Anschlüsse zu erreichen, es gilt zu konsumieren, es gilt jedenfalls nicht: sich der Muße hinzugeben, sich den Mitmenschen zu nähern -- zumindest nicht in positivem Verständnis, u.s.w.) registrieren und dann vielleicht (ein-)sehen und auch verstehen, daß es einen riesigen Unterschied macht, ob man an einem Ort viele Menschen sieht -- die freilich "verschieden" sind -- und die der Zufall, die Notwendigkeit einer Zielerreichung, sicherlich auch unterschiedliche Interessenlagen, dorthin geführt hat oder ob es sich, was Mitmenschlichkeit angeht, wirklich um einen "ganz besonderen Ort", den man gar mit der Geschichte um Christi Geburt in Verbindung zu bringen versucht, handelt. Nein, Herr Bischof, gerade ein Bahnhof hat mit Bethlehem nichts, abera auch gar nichts zu tun, gerade auf einem Bahnhof finden sich eben nicht "unterschiedliche Gruppen zusammen", gerade ein Bahnhof weist sich durch eine Betriebsamkeit aus, die alles erklären mag, aber nicht das, was Bedford-Strohm da m.E. hineingeheimst hat. Da ich davon ausgehe, daß der Herr Bischof dies alles kennt, daß er um die Strukturen eines Bahnhofsgeschehens zumindest ein klein wenig Bescheid weiß, komme ich nicht umhin, hier wieder einmal mehr das zu konstatieren, was leider im öffentlichen Raum immer mehr Verbreitung gefunden hat: einen populistischen Akt mit dem man sich versucht wirksam in Szene zu setzen, die Sucht nach Aufmerksamkeit zu befriedigen. Leider funktioniert das ja auch recht oft, weil eben Menschen jenes sapera aude vermeiden, sich dann eben allzu gerne blenden lassen, weil es aus einer Art Bedürfnis nach Seelenhygiene halt leichter ist, sich mit einer Wunschwelt zufriedenzugeben statt an der Verwirklichung dessen, was vorerst nur Wunsch ist, hart zu arbeiten. (Ich hoffe, daß soviel Realitätssinn bei den Leuten -- vor allem in der Folge der Zeit und der Geschehnisse danach! -- vorhanden ist, die seinerzeitigen vielfachen Willkommensorgien, wie sie auch am Münchner Hauptbahnhof zu beobachten waren, nicht als typisch für ein Bahnhofsalltagsgeschehen -- auf das ja der Bischof offensichtlich mit seinen "Weihnachtsgedanken" abgehoben hat -- zu verstehen ...) Laut Bedford-Strohm in seiner diesjährigen Weihnachtsbotschaft gilt auch: "Weihnachten kommt mitten aus dem Leben und spricht mitten ins Leben." Gehören dazu dann auch der Massenkonsum, die Kommerzialisierung, die Hektik und Oberflächlichkeit, das Funktionalisieren einer moralisch-ethischen Idee für oberflächliche und recht durchsichtige Zwecke? Gehört dazu das viele Umsetzen eines So-tun-als-ob, welches in der realen Ausprägung meistens nur so eine Art ad-hoc-Bestand dann hat, und wenn nicht bereits während der Feiertage dann spätestens danach schnell wieder der Vergangenheit angehört? Das wären sicherlich Gedanken, denen einmal aufrichtig und schonungslos nachzuspüren wäre: diese Diskrepanz von Schein und Sein immer wieder deutlich zu benennen, sich nicht in Floskeln flüchten, die letztlich zudem eine Wirklichkeitsfremdheit sowie Handlungsarmut verdeutlichen. Was können denn eigentlich Menschen in Not, in Verzweiflung, Menschen die von Furcht oder von Ängsten geplagt sind, mit einer Aussage ""Weihnachten kommt mitten aus dem Leben und spricht mitten ins Leben." denn anfangen? Nichts, gar nichts! Nur jene, die in sicherer Position sind, nur jene, welche allenfalls auf hohem Niveau glauben jammern und beklagen zu müssen, die können so eine Sentenz für sich vereinnahmen. Für mich ist dieser Satz jedenfalls nichtssagen, wenn man ihn auf die eigentliche Weihnachsbotschaft beziehen möchte. Er trifft jedoch zu, wenn man ihn auf die gesellschaftliche Wirklichkeit des Konsumierens, der Freizeitaktivität und der Oberflächlichkeit münzt. Aber das kann doch ein "Kirchen-Princeps" nicht wollen, denke ich.
Nach der Hauptbahnhof-Allegorie wundert mich dann auch nicht mehr, wenn der Bischof in der Kapelle der Uni-Frauenklinik in München angesichts der Geburten meint: "Gott wird Mensch in einem kleinen verletzlichen Menschlein" und daß dies die frohe Botschaft von Weihnachten sei. Weiter sagt er dann: "Gott wohnt mitten unter uns. Und deswegen dürfen wir wissen, dass wir in unseren guten und auch in den schweren Zeiten begleitet sind von diesem Gott." Ob das jenen Trost ist und Zuversicht spendet, die sich realiter verlassen fühlen, die am Boden zerstört sind, die unter Verlusten leiden, die von Traurigkeit erfaßt sind, die sich perspektivlos wähnen? Ich fürchte: Nein. Sie werden eher jenen so gepriesenen Gott bestenfalls als abwesend empfinden und all jene, die mit wie auch immer gearteten salbungsvollen Worten auf diese Art Trost zu spenden versuchen, kaum noch ernst nehmen können. Vielleicht sind ja auch die steigenden Kirchenaustritte und die -- von bestimmten Festakten einmal abgesehen -- relativ leeren Gotteshäuser ein Spiegelbild jener Entwicklung! Darüber nachzudenken lohnt sich jedenfalls, meine ich.
Und: Vielleicht sollte man weniger dem Zeitgeist in Sachen "Inhalt geben" huldigen, weniger "moderne" Marketingstrategien um des vordergründigen Beifalls willen betreiben, sondern sich eher auf wertvollere Grundlagen besinnen, eine davon könnten beispielsweise all die vielen philosophischen Gedanken des Marcus Aurelius Antonius Augustus sein. Authentizität zeigt sich nicht, wie Karl Marx es einmal treffend erklärt hat, im Zeigen einer Konstanz der Charaktermaske, also z.B. im Gesichtsausdruck der Erstarrung (bezogen auf einen Habitus, z.B. den der Güte, den einer Wut, den eines energischen Machertums, den der Liebesbedürftigkeit u.a.m.), sondern in der Vielfalt des Ausdrucks, eben je nach Befindlichkeit und momenatan So-Seins, man kann es auch so sagen: in der vollen Lebendkeit des Individuums, damit auch ein Ausdruck von Ehrlichkeit, von Aufrichtigkeit. Nichts von einer deformation professionelle oder ähnlichen Scheinformen. Ist aber ein Zug geronnen, als zu eben jener Marxschen Charaktermaske gemindert, der möglichen Vielzahl von Regungen beraubt, dann haben wir es vielleicht auch mit einer Authentizität zu den, eine die auf reduziere Persönlichkeit verweist. Gerade bei Politikern und Politikerinnen (mehr an Wortwahl biete ich hier dem Gender-Wahn mangels Phantasie nicht an!) findet man leider häufig dieses (vielleicht zunächst nur einstudierte, im einschlägigen Training angelernte) stereotype Erscheinungsbild in Haltung, Gestus und Gesichtsausdruck, das sich im Laufe der Zeit, also der geübten Praxis, zu einem Persönlichkeitsmerkmal verdichtet, zwar auch dann auch "authentisch", freilich nicht im Zeichen einer zur Offenheit und radikalen Ehrlichkeit fähigen Person, sondern als Form kupierter Seinsweise. Wie könnte man jenen so als eine Art Weihnachtsbotschaft zurufen? Vielleicht so: Mach dich ehrlich! Öffne dich der Wirklichkeit in einem weitgefaßten Sinn (und nicht nur deiner) ...
Da jedes Jahr zu dieser Zeit sich auch immer wieder einige Repräsentanten des Staates äußern, möchte ich auch darauf -- wenn auch nur, aus meiner Sicht geboten -- kurz eingehen. Was gibt uns der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit auf den Weg? Er betont, "in vielen Orten in unserem Land ist es heute Abend stiller als sonst", es sei "die Ruhe, die zu Weihnachten über das Land kommt" und das sei "eine Ruhe, die wir uns auch an anderen Tagen im Jahr wünschen." Tatsächlich? Warum haben wir dann diese Ruhe nicht, warum nehmen wir sie uns nicht, oder: weshalb können wir sie uns nicht nehmen? Was steht dem entgegen? Das wären notwendige Antworten auf bohrende Fragen, wobei hier gleichzeitig festzustellen ist, daß eine große Anzahl Menschen hierzulande diese Ruhe offensichtlich überhaupt nicht wollen! Herr Bundespräsident, da habe ich eine ganz konkrete Frage: Was sind die Bedingungen der Möglichkeit für eine solche wie in ihrer Ansprache woh anvisierten Ruhe? Welche gesellschaftlichen Bedingtheiten stehen da im Wege? Könnte man jene bzw. wollte man diese überhaupt beseitigen? Oder erfahren wir auch hier wieder den Widerspruch zwischen dem was in Sonntagsreden (wie auch immer ernsthaft gedacht und nachhaltig gemeint) beschworen wird und dem Tatsächlichen, das unsere Konsumgesellschaft an ihrem ureigenen Leben hält? Hat diese Abwesenheit von Ruhe nicht auch ein gerüttelt Maß mit der zumindest gelebten "panem et circenses"-Methodik zu tun, mit der angefangen von Medien und Politik bis hin zu anderen ideologischen Einflußbereichen (davon nehme ich auch Amtskirchen nicht aus!) eine Gewinnmaximierungsindustrie, der gerade Muße kontraproduktiv wäre, befördert wird? Sicherlich sehr sinnvolle Aspekte für eine Weihnachtsansprache, die tiefer gehen könnte als der Gedanke an einen "Moment außerhalb der Zeit, die uns doch an allen anderen Tagen im Jahr so fest im Griff hat." Warum das so ist und ob es wirklich so sein muß, das wäre der Kern hinter einer ansonsten nur oberflächlich bleibenden Aussage! Was können wir, was kann der Staat, was kann Politik, was kann die Arbeitswelt tun, damit wir diesen "Weihnachtsmoment (...) aufheben und bewahren können, das ganze Jahr hindurch"? Ich fürchte, man wird die Antwort darauf gerne schuldig bleiben, weil damit ein bestehendes System auf seine Menschlichkeit hin hinterfragt werden müßte.
Nach eigenen Worten ist der Bundespräsident "im zurückliegenden Jahr viel unterwegs gewesen in unserem schönen Land" und er habe "Orte kennengelernt, die alles herbeisehnen -- nur keine Stille", weil sie von der Entwicklung abgehängt worden (Stichwort: Dorfsterben) und diesbezüglich verweist er zurecht darauf, daß es auch "eine Stille gibt, die bedrohlich werden kann", weil für jene dort Verbliebenen das Leben schwer geworden ist (Stichworte: schlechte Verkehrsanbindung, keine Geschäfte mehr, kein Arzt, die letzte Gaststätte auch noch geschlossen, etc.). Daß man dagegen auch angehen kann, versucht er an Beispielen für Eigeninitiativen, welche den Orten wieder Leben einhauchten, aufzuzeigen. Wenn er dann sagt, "Wunder wirken können die Menschen auch dort nicht. Das Geld fehlt, wo es andernorts auch fehlt." liegt er zwar richtig, aber ich hätte mir da schon gewünscht, daß er den Versuch einer normativen Schwerpunktsetzung unternommen hätte, kurz: gesagt hätte, woher man dafür das Geld nehmen sollte und auf wessen Kosten dies dann erfolge. Unverbindliche Aussagen helfen in konkreten Problemlagen nicht weiter, erhalten so dann auch leicht den Charakter von Beruhigungspillen, Schulterklopfversuchen und Beliebigkeit. Er sagt mit Blick auf jene Aktiven: "Solche Menschen (...) machen Mut -- und sie verdienen Ermutigung. Mehr noch: Sie verdienen Unterstützung durch die Politik." Richtig! Aber gerne würde man erfahren, wie diese Unterstützung konkret aussehen soll! Immerhin besteht diese Problematik nicht erst seit ein paar Tagen! Wenn er dann weiter ausführt "die Beispiele im Kleinen werden wichtig in den großen Zusammenhängen, Sie zeigen uns: Wir sind den Verhältnissen nicht ausgeliefert. Zukunft ist kein Schicksal!" und an die Verantwortung aller appelliert, dann klingt das zunächst recht schön und gut, bleibt aber zu kurz gegenüber jenen vielen, die nicht münchhausengleich die Kraft aufbringen, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf gefühlter Verzweiflung und gespürten Zukurzgekommenseins zu ziehen. Es haben offensichtlich -- sonst sähe es bekanntlich ja besser aus -- nur die wenigsten Kraft und auch das Know-how, sich sehr widrigen Geschicken entgegenzustellen. "Wir sind ein Land geblieben, in dem wirtschafltiche Vernunft ebenso wie soziale Gerechtigkeit als Leitprinzipien der Politik gelten." so der Bundespräsident ergänzend. Wirklich? In vollem Umfange? Gäbe es die überhaupt nichts zu kritisieren, anzumahnen? Gerade in einer Weihnachtsbotschaft dürfte da so mancher eine andere Erwartungshaltung hegen. Wir als ein Land, "das die Kraft und den Willen hat, Zusammenhalt zu bewahren und das Zusammenwachsen weiter zu befördern", für das "weiterhin viel zu tun" gibt. Ohne auch nur den geringsten Hinweis darauf, in welcher Richtung dieses Tun erfolgen soll, vielleicht auch damit verbunden -- tiefergehend -- mit welchen dafür notwendigen Strategien, erscheinen mir derartige Sätze als inhaltsleer, entsprechend als nicht hilfreich und somit überflüssig.
Der Bundespräsident schafft es in seiner Rede auch, zumindest einen gewissen Konnex zwischen der Weihnachtszeit und dem Fall der Mauer herzustellen, jenen sicherlich "unvergesslichen Moment für uns alle", aber dabei handelte es sich nicht um ein "Weihnachtswunder", sondern der Mauerfall "war das Werk mutiger Menschen!" Nicht zuletzt durch diese Ereignisse ist seither "die Welt um uns herum in Bewegung geraten" und wir leben nun "in einer Zeit, die uns beständig mit Unerwartetem konfrontiert", und dies "verunsichert uns auch", wir sehnen uns "nach Beständigkeit, wir sehnen uns nach Gewissheit" und dann kommt der Spagat zum Weihnachtsgeschehen im Stall zu Bethlehem: "Aber wären wir Menschen nicht auch mutig und offen für das Unerwartete, dann wären schon die Hirten vor Bethlehem auseinander gelaufen." Wie bitte? Wie ist das nun zu verstehen? Ist das nicht ein bißchen zu arg konstruiert? Ich finde schon! Dann erfahren wir auch noch, daß "nicht alles Unerwartete uns das Fürchten lehren" muß. Das gelte auch "für Regierungsbildungen, die in ungewohnter Weise auf sich warten lassen" und der Herr Bundespräsident versucht zu beruhigen: "Ich versichere Ihnen: Der Staat handelt nach den Regeln, die unsere Verfassung für eine Situation wie diese ausdrücklich vorsieht, auch wenn diese Regeln in den letzten Jahren nie gebraucht wurden. Deshalb: Wir können Vertrauen haben." Ich frage mich: war da überhaupt jemand diesbezüglich beunruhigt? Weitere Frage: Könnte es einen Unterschied zwischen Vertrauen in die Rechtslage und Vertrauen gegenüber vielen Politikern geben? Zusätzlich gefragt: Gibt es wirklich auch nur einen Hauch von Berührungspunkten zwischen der wirklichen Weihnachtsbotschaft und mehr oder weniger routinisierten Verwaltungs- und Verfahrensvorgängen? Ich denke, hier wurde einmal mehr vorauseilend etwas als Bedenken, als Unerwartetes hochstilisiert, was so keine Ensprechung in unserer gesellschaftelichen Wirklichkeit findet, dafür blieben wirkliche Bedenken, wirkliche Momente der Furcht und Angst, aus "Unerwartetem" gespeist, außen vor. Nachdenklich jedenfalls ist der Inhalt gegen Schluß der Rede: "Und ich möchte meinen Weihnachtsgruß auch an die Menschen in unserem Land richten, die nicht in der christlichen Tradition aufgewachsen sind, die einer anderen oder gar keiner Religion angehören. An alle, die heute in unserem Land den besonderen Moment dieses Festes erleben. Lassen Sie uns aufeinander Acht geben!"
Ich denke, aus dem letzten Satz des Bundespräsidenten kann man auch den Hinweis auf ein gewordenes, gewachsenes Kulturgut von allgemeinem Gültigkeitswert herauslesen. Weihnachten ist eben mehr als "nur" ein Fest des institutionalisierten Glaubens, wir können spüren, daß es Bestandteil einer sehr alten und nicht immer ohne Rückschritte und Exzesse gewachsenen Kultur ist, daß es für uns weiterhin wegweisend wirksam bleiben muß als Fingerzeig für ein menschenwürdiges und erfülltes Leben, daß es aber auch wieder befreit gehört, von all dem Mißbrauch, der mit Weihnachten und dem eigentlich innewohnenden guten Gedankengut seit geraumer Zeit (und dies wohl leider in zunehmenden Maße) ge- und betrieben wird.
Aber wie sich dem nähern, was man als erfülltes Leben beschreiben möchte? Fühlt sich nicht auch der Geldcharakter, der Mehrwertjäger, der rücksichtslose Hedonist, der Ausbeuter einer Natur zum Schaden letztlich aller, der Gigantomane auf der richtigen Seite? Würden nicht all jene behaupten, sie lebten ja dieses "erfüllte" Leben? Gewiß, denn wer verfolgt schon jene diversen Wege, betreibt derartige Aktivitäten, um sich dann sagen zu müssen, das alles habe überhaupt keinen Sinn! Verdrängung hilft da sehr schnell! Wie auch die intersubjektive Übereinkunft unter Gleichgesinnten! Und schon spürt man in Aus- und Abgrenzung jenes "Supergefühl", hält sich und sein Tun, sein Treiben, für sakrosankt, ohne sich auch nur im geringsten mit Versuchen des Hinterfragens konfrontieren zu müssen.
Da lesen wir bei Seneca in seinem Werk "Vom glücklichen Leben" über eine mögliche Zugangsweise zur Sinnsuche: "So ist es: nicht das Leben, das wir empfangen, ist kurz, nein wir machen es dazu; wir sind nicht zu kurz gekommen; wir sind vielmehr zu verschwenderisch", bei richtigem Umgang mit Zeit und Inhalt "bietet unser Leben dem, der richtig damit umzugehen weiß, einen weiten Spielraum. (...) Aber den einen hält unersättliche Habsucht in ihren Banden gefangen, den anderen eine mühevolle Geschäftigkeit, die an nutzlose Aufgaben verschwendet wird; der eine geht ganz in den Freuden des Bacchus auf, der andere dämmert in trägem Stumpfsinn dahin; den einen plagt der Ehrgeiz, der immer von dem Urteil anderer abhängt, den anderen treibt der gewinnsuchende, rastlose Handelsgeist durch alle Länder, durch alle Meere; manche hält der Kriegsdienst in seinem Bann; sie denken an nichts anderes, als wie sie anderen Gefahren bereiten oder ihnen selbst drohende Gefahren abwehren können; manche läßt der undankbare Herrendienst sich in freiwilliger Knechtschaft aufreiben; viele kommen nicht los von dem Glücke anderer oder von der Klage über ihre eigene Lage; die meisten jagen mangels jeden festen Zieles ihre unstäte, schwankende, auch sich selbst mißfällige Leichtfertigkeit zu immer neuen Entwürfen. Manche wollen von einer sicher gerichteten Lebensbahn überhaupt nichts wissen, sondern lassen sich vom Schicksal in einem Zustand der Schwäche und Schlaffheit überraschen, so daß ich nicht zweifle an der Wahrheit des Wortes jenes erhabenen Dichters, das wie ein Orakelspruch klingt: 'Ein kleiner Teil des Lebens nur ist das wahre Leben'; der ganze übrige Teil ist nicht Leben, ist bloße Zeit. Von allen Seiten drängt und stürmt das Unheil an und läßt nicht zu, daß man den Blick erhebe zur Betrachtung der Wahrheit, drückt die Menschen vielmehr in die Tiefe und fesselt sie an die Begierden. Niemals wird es ihnen möglich, zu sich selbst zu kommen (...)." (Seneca, Von der Seelenruhe. Vom glücklichen Leben. Anaconda Verlag Köln 2010, Abschnitt: Von der Muße, S.120f.)
Ein Stück des real-existierenden Weihnachten und der angeblich oder tatsächlich damit verbundenen Gedanken, unserer gelebten Gegenwart, wiedererkannt? Ja? Dann jenen Irrungen und Wirrungen entgegen wirken, jene Blender und Täuschenden entlarven ...
Ich habe wiederholt die Möglichkeiten durch und mit Weihnachten auch für dem einer institutionellen Kirchenaktivität ablehnend oder skeptisch gegenüberstehenden Haltung angedeutet. Natürlich bedarf es nicht unbedingt salbungsvoller Worte, aufgesetzter Weihnachtsminen und bedeutungsschwangerer Theatralik, um Teilhabe an Weihnachten erfahren zu können. Noch bedarf es unbedingt, gleichwohl dies sicherlich hilfreich, vielleicht sogar erleichternd wäre, all der wirklich ehrlichen, authentischen, der tatsächlichen Lebens- und Erlebenspraxis verpflichteten Seelsorger, um für sich selbst aus "Weihnachten" persönlichen Gewinn (dies nicht im materiellen Sinn zu verstehen!) zu erfahren. Wer hier mit einem "Weihnachten brauche ich nicht!" oder gar "Weihnachten existiert für mich nicht!" o.ä. arbeitet, dürfte in den allermeisten Fällen einer Selbsttäuschung unterliegen. Man kann sicherlich verdrängen, aber geht das wirklich ohne Narben? Vor allem: ist das dann nachhaltig?
Weihnachten ist eben ein sehr wesentlicher Teil unserer Kultur und all jene die hier Enkulturation und Sozialisation erfahren haben, werden Weihnachten in sich spüren, fühlen, werden von Stimmungen erfaßt werden, werden schließlich auch wenigstens zum Teil einer Nachdenklichkeit zugeführt, im oberflächlicheren Fall zumindest eine gewisse Sentimentalität durchleben.
Ein hierfür m.E. sehr gutes Beispiel lieferte die bekannte und erfolgreiche Autorin Sibylle Berg in ihrem Buch "Wie halte ich das nur alles aus? Fragen Sie Frau Sibylle." (München 2013, Hanser Verlag). Im fünften Teil, den sie mit "Nach Weihnachten schnell ein Ausflug ins Grüne? Die schwierigsten Fragen zum Schluss" betitelt hat, liefert sie wohl eine recht persönliche Einschätzung zu ihrem eigenen Erleben und Umgehen mit Weihnachten. Bereits die Überschrift verrät zumindest eine gewisse Zerrissenheit: "Was ist nur dran, an dieser verdammten heiligen Nacht?"(a.a.O., S. 144ff.) . Zunächst berichtet Sibylle Berg, daß sie ihre Kindheit und Jugend "in völliger Abwesenheit von Weihnachtsfeiern verbrachte." Und sie habe geglaubt, auch später "die dunkle Zeit des Jahres auch weiter unangetastet ignorieren" zu können. Dazu habe sie alles versucht: Heiligabend "zu Freunden gegangen" und mit ihnen über die "Idioten in ihren Kirchen" gelästert, "in die Ferne geflüchtet", auch "ins Nachtleben". Jetzt bleibe sie allein zu Hause, bilde sich dann ein, das sei "großartig": "Bis die Glocken läuten und mir die Luft abschnüren." (Hervorh. d.V.)
Auch das im Vergleich zu anderen doch sehr unterschiedliche Aufwachsen -- eben eines: ohne Weihnachten und einer entsprechenden Sozialisation in der DDR -- scheint nicht zu bewirken, daß sie sich von irgendwelchen weihnachtlichen Gefühlen freimachen könnte. Schon allein (oder: besonders?) der Klang der Glocken üben da offensichtlich eine Art einschlägigen Schlüsselreiz aus.
Nachdem anscheinend alle Möglichkeiten der Ablenkung nicht ausreichend wirksam waren -- weder Flucht in Fernen noch Fluchtversuche im Nahbereich, auch nicht Versuche, Weihnachten einfach verächtlich zu machen -- hat sie sich entschieden, an diesem Heiligen Abend (Sehr erhellend ihr "Gleich ist Heiligabend. Was für ein altes Wort, eines, das es gar nicht mehr geben sollte, es gibt doch so wenig, was heilig ist. Dieser Abend vielleicht schon.") zu Hause zu bleiben und ihn dort zu verbringen. Ihr Gefühl über diesen Abend? Es komme "ein Sehnen, nach was nur."
Aber das Sehnen scheint da zu sein! Und der Gedanke nach Ablenkungsmanövern schwingt mit, gleichwohl auch die Erkenntnis über deren Unwirksamkeit: "Aber es würde nicht helfen, nichts hilft in dieser verdammten Nacht, Verstehst du mich? Die Glocken, jetzt gehen die Glocken los. Die Katholiken greifen an, ich möchte verächtlich den Mund verziehen. Die Idioten belächeln, die in die Kirche gehen, sich ein Märchen anhören in schlecht geheizten Gemäuer. Aber ich schließe nur die Augen und höre den Glocken zu. Jeder Schlag hallt in mir, füllt mich aus." (a.a.O., S. 146)
Und wenn dann Freunde sie nach Weihnachten fragen, wie es denn gewesen sei, werde sie "lächeln und sagen, weißt du, ich bin froh, dass ich den ganzen Zirkus nicht mitmachen muss." Und sie geht dann davon aus, daß jene Freunde "nach all der Hektik, die sie hatten" auch "neidisch sein werden". Ihr letzter Satz daraufhin dann: "Ich befürcht, das wird mir nicht helfen." (S. 147)
Explizit bleibt die Frage, was denn an "dieser verdammten heiligen Nacht" nur dran sei, vielleicht unbeantwortet (zumindest für all jene, die ohne klare, eindeutige Hinweise nicht auskommen können), implizit wird aber eines deutlich: Wer in unserer Kultur lebt, kann und (und ich sage: hoffentlich) will an Weihnachten nicht einfach vorbeigehen, nolens volens gehört es auch zur eigenen Person, wie immer man auch sonst positioniert sein möge.
Der Satz zum Schluß nach meinen diesjährigen Gedanken über Weihnachten:
"Es lohnt sich in jeder Hinsicht, das, was von Jesus Christus im menschlichen Leben ausgelöst wird, als eine Revolution zu sehen, mit der sich keine andere Bewegung der Geschichte vergleichen oder messen kann."
(George John Romanes 1848-1894)
"Mein" Weihnachten 2017 (24.12.) in Bildern:
Nachgedanken
Man sollte sich hüten, nein nicht nur "hüten", sondern massiv dem entgegenwirken, wenn bestimmte Kreise unter Vorwand und mit den unterschiedlichsten Mitteln und Argumenten versuchen, das was wir unter Weihnachten leben und feiern, zu verwässern oder gar auszuhebeln. Die christliche Tradition ist für uns essentielles Kulturgut, ist für uns zugleich Gegenstand, sich mit Sinn und Unsinn in Lebensweisen konstruktiv auseinanderzusetzen.
Wir brauchen keine Verleugnung dessen, was wesentlicher Bestandteil unseres So-Seins ist, schon gar keine Formen einer Entschuldigung dafür.
Wer hier aber glaubt mit Umbenennungen kirchlicher Festtage, wie beispielsweise durch den Begriff "Lichterfest", eine besonders hohe Form von Toleranz zu leben, ist zumindest auf einem Irrweg, wenn nicht üblere Gesichtspunkte sich dahinter verbergen. Wer die hier gewachsene Kultur an ihren Wurzeln anzugreifen versucht, wer in diesem Lande die gewachsene Freiheit und das Fundament der Kontemplation einzuengen oder gar zu beseitigen versucht, ist letztlich auch ein Feind der Demokratie, vor allem können jene nicht Toleranz für sich reklamieren.
Es ist und bleibt gerade die Aufgabe auch für jene, die sich nicht der Amtskirche und ihren Vertretern verpflichtet fühlen, hier mit an der Bewahrung dessen zu wirken, was unsere Lebensweise und Orientierungen ausmacht, was Grundlage einer abendländischen ethisch-moralischen Sicht- und Orientierungsweise ist (und auch bleiben muß). Natürlich werden bei dieser eigentlichen Selbstverständlichkeit die Grenzen nicht allein durch kirchliche Belange und Gestaltungsweisen gezogen; andere gewachsene Sitten, so auch fundamentale Artikulationsweisen und entwickelte Umgangsformen, bedürfen diesbezüglich ebenfalls besonderer Aufmerksamkeit und Wachsamkeit wie auch der Wehrhaftigkeit, damit sie erhalten bleiben (können)..
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